Mitternachtsfalke - Auf Den Schwingen Der Liebe
gehörte ihre Liebe, ihre Leidenschaft und ihre Zukunft. Sie wollte keinen Tag mehr ohne ihn sein. Natürlich schmerzte sie die Vorstellung, ihren Vater verlassen zu müssen, aber ihre Wahl stand fest. Drew! Und wenn dies bedeutete, mittellos durch England zu ziehen, sollte es eben so sein. Sicher konnte Drew sie ernähren. Womöglich konnten sie irgendwo eine kleine Hütte finden, ein Dach über dem Kopf, ein gemütliches, kleines Zuhause für sich und ihre Kinder. Sie stellte sich seine Kinder wunderschön vor, mit grünen Augen und dunklen Haaren, ganz wie der Vater.
„… bitte das Salz reichen?“, riss Tante Olivia Julia aus ihren Träumen.
„Bitte?“
„Das Salz. Ich bat um Salz“, wiederholte Olivia.
„Natürlich, Tante. Hier bitte.“
Wie sie ihren Blick so über ihre Familie schweifen ließ, kam ihr Entschluss fast ein wenig ins Wanken. Ihre Tante und ihr Vater waren alles, was ihr an Familie noch geblieben war und beide hatten immer wieder gesagt, wie sehr sie es sich wünschten, ihre Kinder eines Tages durch diese Hallen flitzen zu sehen. Olivia, weil es ihr nie vergönnt war, eigene Kinder zu haben und ihr Vater, weil er hoffte, dass endlich wieder ein Lachen das Haus erhellen würde.
Schnell schluckte Julia den Kloß, der sich in ihrer Kehle gebildet hatte, hinunter, und wischte sich den Mund an der Serviette ab. Alle anderen hatten ihre Teller bereits geleert und waren in leise Gespräche vertieft. Nur Greg saß schweigend, aber unruhig neben ihr.
„Ich hoffe es hat allen gemundet?“, fragte Julia höflich in die Runde.
„Oh ja meine Liebe, es war köstlich. Bitte gebt das an die Köchin weiter. Womöglich werde ich dem König von diesem Mahl berichten, damit er die gute Frau abwirbt und nach London holt. So käme ich noch viel öfter in den Genuss ihrer Kochkünste“, scherzte der Richter.
„Aber Mylord! Das könnt Ihr doch nicht machen!“, rief Julia ehrlich entrüstet.
Lachend hielt er sich den vollen Bauch und beschwichtigte schnell seine Gastgeberin.
„Nun, wenn Ihr darauf besteht, diese Perle bei Euch zu behalten, dann muss ich Euch wenigsten bitten, mich in Zukunft öfter zum Essen einzuladen.“
Alle an der Tafel lachten und Olivia nickte begeistert.
„Natürlich, Richter Cox. Es wird uns eine Freude sein“, versicherte sie ihm schnell.
„Wenn das so ist, dann fehlt mir zum absoluten Glück nur noch eine Zigarre.“
„Aber Richter Cox, wollt Ihr nicht vielleicht noch einen kleinen Verdauungsspaziergang machen? Ich hatte gehofft, Ihr könntet mir vielleicht etwas von London erzählen. Die Gesellschaft, der Königshof und natürlich der König! Ihr erlebt das alles jeden Tag. Das muss so aufregend sein. Bitte Mylord, es würde mir eine große Freude machen.“
Zu Julias Erstaunen bekam sie von Olivia Schützenhilfe.
„Oh ja, dieser Bitte kann ich mich nur anschließen. Ich würde ebenfalls gerne einige Neuigkeiten aus London erfahren. Ihr seid doch mit Lady Bellham bekannt. Ihr müsst uns etwas von ihr berichten, denn seit Sophias Tod haben wir sie nicht mehr gesehen.“
Das schlechte Gewissen nagte an Nathan, weil er wegen seiner eigenen Trauer um Sophia weder auf Julias Wünsche geachtet, noch jemals gefragt hatte, was seine Schwester mit ihrem Leben eigentlich vorhatte. Er hatte einfach angenommen, Olivia wäre zufrieden damit, bei ihnen ein neues Zuhause gefunden zu haben. Aber womöglich lag er da falsch. Sie war zwar kein junges Ding mehr, aber eine gut situierte Witwe wie sie hatte noch recht gute Chancen auf dem Heiratsmarkt. Und ihm entgingen auch die Blicke nicht, welche Olivia dem Richter unter gesenkten Lidern hervor zuwarf.
Schnell bot er daher an:
„Arthur, wir sollten nicht so unhöflich sein, den Damen diesen Wunsch abzuschlagen.“
„Na gut, na gut. Aber unter einer Bedingung“, willigte er ein und blickte über das Tischtuch hinweg zu Olivia. „Ihr, Mylady Litcott, müsst mich im Gegenzug unbedingt einmal in London in die königliche Menagerie begleiten. Dort gibt es Tiere, die ebenso schön und ungewöhnlich sind, wie Ihr es seid.“
Weil nach wie vor Pistolen auf ihn gerichtet waren, ließ sich Drew widerstandslos die rostigen Ketten um die Handgelenke legen. Harrys Fackel flackerte im Luftzug, der durch das Gewölbe fuhr. Die Felswände warfen gespenstische Schatten und das Rauschen des Wassers klang wie das wütende Schnauben eines in der Tiefe der Höhle lebenden Ungeheuers. Obwohl Drew eigentlich furchtlos war, machte sich ein
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