Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
wenig nervös, voller Hoffnungen auf den Beginn einer neuen Laufbahn, an der Tür klingelte? Welches Gesicht erschien hinter der mit Fliegendraht bespannten Haustür und blickte unangenehm überrascht drein? Padma, ich wurde von Onkel Mustaphas Frau, der verrückten Tante Sonia, mit dem Ausruf begrüßt: «Pfui! Allah! Stinkt der Kerl!»
Und obwohl ich einschmeichelnd «Guten Tag, liebe Tante Sonia! »sagte und die von Fliegendraht beschattete Erscheinung der runzlig werdenden iranischen Schönheit dämlich angrinste, redete sie weiter: «Saleem, nicht wahr? Ja, ich erinnere mich an dich. Ein ungezogener kleiner Balg warst du. Hast immer geglaubt, aus dir würde Gott weiß was. Und weshalb? Wegen irgendeinem blöden Brief, den der fünfzehnte Unter-Unter-Hilfssekretär des Ministerpräsidenten dir geschickt haben muss.» Bei diesem ersten Treffen hätte ich voraussehen können müssen, dass meine Pläne zunichte gemacht würden; ich hätte an meiner verrückten Tante die unversöhnlichen
Dünste der Beamteneifersucht riechen müssen, die alle meine Versuche, einen Platz in der Welt zu erobern, vereiteln sollte. Mir hatte man einen Brief geschickt, ihr nie; das machte uns zu Feinden fürs Leben. Aber die Tür öffnete sich, der Duft von sauberen Kleidern und Duschen zog heraus, und ich, dankbar für bescheidene Wohltaten, versäumte es, die tödlichen Düfte meiner Tante zu untersuchen.
Mein Onkel Mustapha, dessen einst prächtig gewachster Schnurrbart sich von dem lähmenden Sandsturm der Zerstörung auf Methwold’s Estate nie mehr erholt hatte, der bei der Beförderung zum Leiter seiner Dienststelle nicht weniger als siebenundvierzigmal übergangen worden war, hatte schließlich angefangen, seine Unzulänglichkeiten dadurch zu kompensieren, dass er seine Kinder verprügelte und nächtens darüber schwafelte, dass er ganz offenkundig das Opfer antimoslemischer Vorurteile sei, durch eine widersprüchliche, doch absolute Treue zur jeweiligen Regierung und eine Leidenschaft für Ahnenforschung; dieses war sein einziges Hobby, und er frönte ihm mit einem Fanatismus, der noch schlimmer war als weiland der meines Vaters, als er seine Abstammung von den Mogul-Herrschern beweisen wollte. Bei Ersterem leistete seine Frau, die halbiranische Möchtegern-Salondame Sonia (geborene Khosrovani), ihm bereitwillig Gesellschaft; sie war von einem Leben, das ihr abverlangte, eine «Chamcha» (eigentlich ein Löffel, im übertragenen Sinn aber ein Schmeichler) für siebenundvierzig verschiedene und aufeinander folgende Nummer-Eins-Ehefrauen zu sein, die sie vorher, als sie noch die Ehefrauen der Nummer drei waren, durch übergroße Herablassung brüskiert hatte, nachweislich in den Wahnsinn getrieben worden. Unter den gemeinschaftlichen Schlägen meines Onkels und meiner Tante waren meine Vettern und Cousinen mittlerweile so gründlich zu Brei geschlagen worden, dass ich mir Anzahl, Geschlecht, Größe oder Aussehen nicht mehr ins Gedächtnis rufen kann; ihre jeweilige Persönlichkeit existierte natürlich schon lange nicht mehr. Im Haus meines Onkels Mustapha
saß ich schweigend inmitten meiner vollkommen zermalmten Vettern und Cousinen und hörte seinen nächtlichen Monologen zu, bei denen er sich ständig widersprach, weil er chaotisch hin- und herschwankte zwischen seinem Groll darüber, nicht befördert worden zu sein, und seiner blinden, hündischen Ergebenheit gegenüber allem und jedem, was die Ministerpräsidentin tat. Wenn Indira Gandhi ihn aufgefordert hätte, Selbstmord zu verüben, so hätte Mustapha Aziz dies zwar antimoslemischem Fanatismus zugeschrieben, das staatsmännische Kalkül jedoch, das hinter diesem Ersuchen steckte, verteidigt und den Auftrag ausgeführt, ohne dass er es gewagt (oder auch nur gewünscht) hätte, dagegen aufzumucken.
Was die Ahnenforschung betraf: Onkel Mustapha verbrachte seine ganze Freizeit damit, riesige Tagebücher mit spinnenartigen Stammbäumen zu füllen und die bizarren Abstammungslinien der größten Familien im Land immer weiter zu erforschen und zu verewigen; doch während meines Aufenthaltes hörte meine Tante Sonia eines Tages von einem Rischi aus Hardwar, der angeblich dreihundertfünfundneunzig Jahre alt war und sich den Stammbaum jeder einzelnen Brahmanensippe im Land eingeprägt hatte. «Selbst darin», kreischte sie meinen Onkel an, «bist du auch bloß Nummer zwei!» Die Existenz dieses Rischi aus Hardwar trieb sie vollends in den Wahnsinn, sodass ihre Gewalttätigkeit
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