Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
Schmollmund blieb. Resham Bibi bereitete einen grünen Tee, der nach Kampfer roch, und flößte ihn Parvati ein. Der Tee bewirkte eine so gründliche Verstopfung, dass man sie neun Wochen lang nicht mehr hinter ihrer Hütte den Darm entleeren sah. Zwei jungen Jongleuren kam der Gedanke,
dass sie vielleicht von neuem um ihren verstorbenen Vater trauere, und sie machten sich daran, sein Porträt auf einen Fetzen alten Segeltuchs zu zeichnen, den sie über ihre Matte aus Sackleinen hängten. Die Drillinge machten Witze, und Picture Singh, zutiefst besorgt, befahl seinen Kobras, sich zu verknoten; doch nichts funktionierte, denn wenn es schon Parvatis Kräfte überstieg, ihre verschmähte Liebe zu heilen, welche Hoffnung konnten die anderen dann hegen? Die Macht von Parvatis Schmollmund schuf im Getto ein namenloses Gefühl des Unbehagens, das die ganze Feindseligkeit der Magier gegenüber dem Unbekannten nicht völlig zerstreuen konnte.
Und dann hatte Resham Bibi eine Idee. «Narren sind wir», sagte sie zu Picture Singh, «sehen noch nicht einmal, was wir direkt vor der Nase haben. Das arme Mädchen ist fünfundzwanzig, Baba – beinah eine alte Frau! Sie sehnt sich nach einem Ehemann!» Picture Singh war beeindruckt. «Resham Bibi», sagte er anerkennend, «dein Gehirn ist doch noch nicht abgestorben.»
Danach widmete Picture Singh sich der Aufgabe, einen passenden jungen Mann für Parvati zu finden; viele der jüngeren Männer im Getto wurden beschwatzt gepiesackt bedroht. Eine Reihe von Kandidaten wurden vorgeführt, Parvati aber wies sie alle ab. An dem Abend, an dem sie Bismillah Khan, dem vielversprechendsten Feuerschlucker der Kolonie, sagte, er solle mit seinem Atem, der nach scharfen Chilis roch, woanders hingehen, gab sogar Picture Singh alle Hoffnung auf. An dem Abend sagte er zu mir: «Hauptmann, das Mädchen bereitet mir nur Kummer und bringt mich noch zur Verzweiflung. Du bist mit ihr befreundet – hast du keine Idee?» Dann kam ihm selbst eine Idee, eine Idee, die hatte warten müssen, bis er verzweifelt war, denn selbst Picture Singh war nicht frei von Standesdenken – weil er mich wegen meiner angeblich «höheren» Geburt als «zu gut» für Parvati betrachtete, hatte der alternde Kommunist bis jetzt nicht daran gedacht, dass ich ... «Sag mir eins, Hauptmann», fragte Picture Singh scheu, «hast du vor, eines Tages zu heiraten?»
Saleem Sinai spürte, wie Panik in ihm aufstieg.
«He, hör mal, Hauptmann, du magst doch das Mädchen, oder?» – Und ich, unfähig, das zu leugnen, sagte: «Natürlich.» Und nun grinste Picture Singh von einem Ohr zum anderen, während Schlangen in Körben zischten. «Magst du sie sehr, Hauptmann? Sehr sehr?» Doch ich dachte an Jamilas Gesicht in der Nacht und traf eine verzweifelte Entscheidung: «Pictureji, ich kann sie nicht heiraten.» Worauf er stirnrunzelnd fragte: «Bist du vielleicht schon verheiratet, Hauptmann? Hast irgendwo Frau und Kinder, die auf dich warten?» Jetzt gab es kein Zurück mehr; leise und beschämt sagte ich: «Ich kann niemanden heiraten, Pictureji. Ich kann keine Kinder haben.»
Die Stille im Schuppen wurde vom Zischen der Schlangen und dem nächtlichen Bellen streunender Hunde unterbrochen.
«Sagst du auch die Wahrheit, Hauptmann? Ist es medizinisch bewiesen? »
«Ja.»
«Wenn es nämlich um diese Dinge geht, darf man nicht lügen, Hauptmann. Es bringt Unglück, großes Unglück, wenn man über seine Männlichkeit Späße macht. Dann kann man für nichts mehr garantieren, Hauptmann.»
Und ich ließ mich dazu verleiten, noch beharrlicher zu lügen, und beschwor den Fluch Nadir Khans, der auch der Fluch meines Onkels Hanif und während der Einfrierung und ihres langen Nachspiels auch der meines Vaters war, auf mich selbst herab: «Ich sag’s dir doch», schrie Saleem, «es ist wahr, und damit hat’s sich!»
«Ja, dann, Hauptmann», sagte Pictureji mit tragischer Stimme und schlug sich mit dem Handgelenk gegen die Stirn, «dann weiß nur noch der liebe Gott, was man mit dem armen Mädchen tun soll.»
Eine Hochzeit
Ich heiratete Parvati-die-Hexe am 23. Februar 1975, am zweiten Jahrestag meiner Rückkehr als Ausgestoßener ins Magiergetto. Padma erstarrt: Angespannt wie eine stramm gezogene Wäscheleine fragt sie forschend: «Verheiratet? Aber erst gestern Abend hast du noch gesagt, du würdest nicht – und warum hast du’s mir in all diesen Tagen, Wochen, Monaten nicht erzählt?» Ich blicke sie traurig an und erinnere
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