Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
tragen; der, der durch Spiegel entweichen kann, muss durch ein Loch in einer Büchse trinken, damit er nicht durch die spiegelnde Oberfläche des Wassers verschwinden kann, und der, deren Blicke töten können, hat man einen Sack über den Kopf geworfen, und die Gesichter der behexenden Schönheiten aus Baud sind gleichermaßen von Säcken verhüllt. Einer von uns kann Metall essen, sein Kopf ist in eine Klammer eingezwängt, die nur zu den Mahlzeiten aufgeschlossen wird ... was bereitet man für uns vor? Etwas Schlimmes, Kinder. Ich weiß noch nicht, was, aber es ist im Anzug. Kinder: Auch wir müssen uns bereithalten.
Gebt es weiter: Einige von uns sind entkommen. Ich rieche Abwesenheiten durch die Wände. Gute Nachrichten, Kinder! Sie können uns nicht alle erwischen. Soumitra, der Zeitreisende, beispielsweise - o jugendliche Torheit! o wir Dummköpfe, die wir ihm so wenig glaubten! – ist nicht hier; er wandert vielleicht durch eine glücklichere Zeit seines Lebens, er hat sich den Suchtrupps für immer entzogen. Nein, beneidet ihn nicht: obwohl auch ich mich gelegentlich danach sehne, in die Vergangenheit zu entkommen, vielleicht in die Zeit, in der ich, der Augapfel des Universums, als Baby im Triumphzug durch die Paläste William Methwolds zog – o heimtückische Sehnsucht nach Zeiten größerer Möglichkeit, bevor sich die Geschichte wie eine Straße hinter dem Hauptpostamt in Delhi zu diesem letzten Endpunkt verjüngte! aber nun sind wir hier; so ein Rückblick schwächt den Geist; freut euch einfach, dass einige von uns frei sind!
Und einige von uns sind tot. Von meiner Parvati hat man es mir erzählt. Deren Züge bis zum Schluss überlagert wurden vom verwesenden Geistergesicht von. Nein, wir sind nicht mehr fünfhunderteinundachtzig. Wie viele von uns sitzen eingekerkert da und warten, in der Dezemberkälte zitternd? Ich befrage meine Nase; sie antwortet: vierhundertzwanzig, die Zahl des Betrugs und der Gaunerei. Vierhundertzwanzig, festgehalten von Witwen: Und noch einer ist da, der gestiefelt durch die Herberge stolziert – ich
rieche seinen Gestank, der sich nähert und sich entfernt, die Fährte des Verrats! -, Major Shiva, der Kriegsheld, Shiva-von-den-Knien, überwacht unsere Gefangenschaft. Werden sie sich mit vierhundertzwanzig zufrieden geben? Kinder: Ich weiß nicht, wie lange sie noch warten werden.
... Nein, ihr macht euch über mich lustig, hört auf, macht keine Witze. Warum, weshalb, wieso-in-aller-Welt diese Gutmütigkeit, diese Gutherzigkeit in euren geflüsterten Worten, die von Wand zu Wand weitergegeben werden? Nein, ihr müsst mich verurteilen, auf der Stelle und ohne die Möglichkeit, Berufung einzulegen – quält mich nicht mit euren fröhlichen Grüßen, wenn ihr einer nach dem anderen in Zellen eingeschlossen werdet; was ist das für eine Zeit, was für ein Ort für Salaams, Namaskars, Wie-geht’s-wie-steht’s? – Kinder, begreift ihr nicht, sie können uns alles antun, alles – nein, wie könnt ihr so was sagen, was meint ihr mit eurem Was-könnensie-uns-schon-tun? Lasst euch sagen, meine Freunde, Stahlruten tun weh, wenn sie auf Knöchel treffen, Gewehrkolben hinterlassen Prellungen auf einer Stirn. Was sie tun können? Einem geladene elektrische Drähte in den After einführen, Kinder, und das ist nicht die einzige Möglichkeit, man kann auch an den Füßen aufgehängt werden, und eine brennende Kerze – ah, der süß-romantische Schein von Kerzenlicht! – ist alles andere als angenehm, wenn sie an die Haut gehalten wird! Hört auf jetzt, macht dieser ganzen Freundschaft ein Ende, habt ihr denn keine Angst? Wollt ihr mich nicht in tausendundein Stück zertreten zerstampfen zertrampeln? Warum diese ewigen geflüsterten Erinnerungen, diese Sehnsucht nach alten Streitereien, nach dem Krieg zwischen Idee und Materie, warum verhöhnt ihr mich mit eurer Ruhe, eurer Normalität, eurer Fähigkeit, über der Krise zu stehen? Ehrlich gesagt, ich bin verwirrt, Kinder: Wie könnt ihr, neunundzwanzig Jahre alt, dasitzen und in euren Zellen kokett miteinander flüstern. Verdammt nochmal, das ist keine gesellige Zusammenkunft!
Kinder, Kinder, es tut mir Leid. Ich gestehe offen, dass ich in
der letzten Zeit nicht ich selbst gewesen bin. Ich bin ein Buddha gewesen und ein Geist in einem Korb und ein Möchtegern-Retter der Nation ... Saleem ist in Sackgassen hineingerannt und hat beträchtliche Schwierigkeiten mit der Realität, seit ein Spucknapf vom Himmel fiel wie ein
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