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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Becken hinabzuschreiten. Aber Pushpa gehört nicht zu den besseren; jetzt ist er alt und vergessen und beobachtet das Schwimmbad von ferne ... und nun ergießen sich immer mehr aus der großen Masse in mich – wie zum Beispiel Bano Devi, die berühmte Ringerin jener Zeit, die nur mit Männern rang und drohte, jeden, der sie besiegte, zu heiraten, und folglich keine Runde verlor; und (näher an unserem Haus nun) der Sadhu unter dem Wasserhahn im Garten, der Purushottam hieß und den wir (Sonny, Schlitzauge, Haaröl, Cyrus und ich) immer Puru-den-Guru nannten – weil er glaubte, dass ich der Mubarak, der Gesegnete, sei, weihte er sein Leben der Aufgabe, mich im Auge zu behalten, und brachte seine Tage damit zu, meinem Vater das Aus-der-Hand-Lesen beizubringen und meiner Mutter die Warzen wegzuzaubern; und dann ist da noch die Rivalität zwischen dem alten Hausdiener Musa und der neuen Ayah Mary, die wachsen wird, bis es zum Knall kommt; kurzum, Ende 1947 war das Leben in Bombay so strotzend mannigfaltig, vielförmig formlos wie eh und je ... außer dass ich angekommen war; ich war schon dabei, meinen Platz im Mittelpunkt des Universums einzunehmen, und bis ich endlich so weit war, würde ich allem Bedeutung verleihen. Sie glauben mir nicht? Hören Sie zu: An meiner Wiege singt Mary Pereira ein kleines Lied:
    Alles, was du sein willst, kannst du sein:
Du kannst alles sein, was du willst.
    Zur Zeit meiner Beschneidung durch einen Barbier mit Hasenscharte aus dem königlichen Frisörgeschäft an der Gowalia Tank Road (ich war etwas über zwei Monate alt) war ich in Methwold’s Estate schon sehr gefragt. (Beim Thema Beschneidung fällt mir ein: Ich schwöre immer noch, dass ich mich an den grinsenden Barbier erinnern kann, der mir die Vorhaut hielt, während mein Glied sich wild wie eine schlüpfrige Schlange wand, und an das herabsausende
Rasiermesser und an den Schmerz; aber man sagt mir, dass ich zu der Zeit noch nicht einmal mit der Wimper gezuckt hätte.)
    Ja, ich war ein beliebter kleiner Kerl: Meine beiden Mütter, Amina und Mary, konnten nicht genug von mir bekommen. In allen praktischen Angelegenheiten waren sie die engsten Verbündeten. Nach meiner Beschneidung badeten sie mich gemeinsam und kicherten gemeinsam, als mein verstümmeltes Organ zornig im Badewasser wackelte. «Auf den Jungen sollten wir lieber Acht geben, Madam», sagte Mary keck. «Sein Ding hat ein Eigenleben.» Und Amina: «Ts, ts, Mary, du bist schrecklich, wirklich ...» Aber dann, unter hilflos schluchzendem Gelächter: «Sehen Sie nur, Madam, sein armes kleines Pipimännchen!» Denn er wackelte wieder und hüpfte umher wie ein Huhn mit durchgeschnittener Gurgel ... Gemeinsam sorgten sie wunderbar für mich, doch was die Gefühle anging, waren sie Rivalinnen auf den Tod. Als sie mich einmal zu einer Fahrt mit dem Kinderwagen durch die Hängenden Gärten am Malabar Hill ausführten, hörte Amina zufällig, wie Mary zu den anderen Ayahs sagte: «Seht nur, das ist mein eigener großer Sohn» – und fühlte sich seltsam bedroht. Danach wurde Baby Saleem das Schlachtfeld ihrer Liebe; die eine strebte danach, die andere in Bekundungen der Zuneigung zu übertreffen, während er, der mittlerweile blinzelte und laut gurgelte, sich an ihren Gefühlen weidete und sie dazu benutzte, sein Wachstum zu beschleunigen, und sich endlosen Umarmungen, Küssen, liebkosendem Kraulen unter dem Kinn freundlich entgegenreckte, sie schluckte und sich mit alledem für den Augenblick auflud, da er das entscheidende Merkmal menschlicher Wesen erlangte: Jeden Tag und nur in den seltenen Augenblicken, in denen ich mit dem deutenden Finger des Fischers allein gelassen wurde, versuchte ich, mich in meinem Bettchen gerade aufzurichten.
    (Und während ich mich vergeblich mühte, auf die Füße zu kommen, fasste auch Amina einen nutzlosen Beschluss – sie versuchte, aus ihren Gedanken den Traum von ihrem unnennbaren Ehemann
zu verbannen, der in der Nacht nach meiner Geburt den Traum von dem Fliegenpapier ersetzt hatte. Der Traum war so überwältigend realistisch, dass er sie auch in ihren wachen Stunden nie verließ. Im Traum kam Nadir Khan an ihr Bett und schwängerte sie, und im Traum war alles so unverschämt verdreht, dass Amina nicht mehr so recht wusste, wer der Vater ihres Kindes war, und dass ich, das Kind der Mitternacht, mit einem vierten Vater versehen wurde, der sich an die Seite von Winkie und Methwold und Ahmed Sinai reihte. Erschüttert, aber hilflos

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