Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mitternachtslust

Mitternachtslust

Titel: Mitternachtslust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Winter
Vom Netzwerk:
ersten Mal, nachdem er den Spiegel aufgehängt hatte, zum Saubermachen hier war. Aber sie hat sich nichts anmerken lassen.«
    »Ich denke, du kümmerst dich nicht mehr um die Meinung anderer?«, rief Susanne ihr einen ihrer neuen Vorsätze ins Gedächtnis.
    »Stimmt. Das ist aber nicht immer so einfach«, seufzte Melissa und streckte ihrem Spiegelbild die Zunge heraus.
    »Das lernt man«, tröstete Susanne sie. »Was ich allerdings höchst interessant finde, ist die Tatsache, dass der Mann, der angeblich mit einer lockeren Beziehung zufrieden ist, ganz genau weiß, wann ihr es zum ersten Mal miteinander getrieben habt.« Susanne kicherte anzüglich.
    »Was soll daran so erstaunlich sein?« Melissa schwang energisch ihre Beine über die Bettkante. »Wir müssen Schluss machen, Susa. Ich habe um elf einen Termin für eine Porträtaufnahme. Vorher muss ich noch duschen und mir die Haare waschen. Gefrühstückt habe ich auch noch nicht.«
    »Dann viel Spaß. Und denk dran, dir den 29. September freizuhalten! Ich würde ungern ohne dich heiraten.«
    »Wie könnte ich den Termin vergessen, an dem die standhafte Susanne sich freiwillig die Fesseln der Ehe anlegen lässt!«
    »Wirst du Alexander mitbringen?«
    »Vielleicht. Ich habe ihn noch nicht gefragt.«
    Melissa beendete hastig das Gespräch und eilte ins Bad. Langsam wurde die Zeit knapp, und sie hatte sich noch nicht einmal entschieden, welchen Hintergrund sie für die heutigen Aufnahmen vorschlagen sollte. Eine Mutter wollte sich gemeinsam mit ihrer zweijährigen Tochter und dem Familienhund ablichten lassen. Tiere und Kleinkinder gehörten zu den schwierigsten, aber für Melissa auch zu den schönsten Motiven, gerade weil sie die Geduld, den Einfallsreichtum und die Schnelligkeit des Fotografen herausforderten.
    Eilig stellte sie den Thermostat der Dusche auf lauwarm und seifte sich mit dem neuen Duschgel ein, dessen Duft Alexander ganz verrückt machte, wie er in der vergangenen Nacht bekundet und ihr gleich darauf eindrucksvoll bewiesen hatte. Zwischen den Beinen war sie ein wenig wund und geschwollen, aber sie genoss den leichten Schmerz, den sie spürte, als sie sich dort wusch.
    Nachdem sie sich auch die Haare gewaschen hatte, hüllte sie sich in ihren Bademantel und ging zurück in ihr Schlafzimmer, um in Jeans und T-Shirt zu schlüpfen, ihre übliche Arbeitskleidung.
    Erst als sie splitternackt in ihrer Kommode nach frischer Unterwäsche suchte, bemerkte sie Julius. Hastig streifte sie sich das erstbeste Baumwollhemd über den Kopf und angelte in einer der unteren Schubladen nach einem Slip.
    »Du warst lange nicht da«, stellte sie dann ein wenig atemlos fest.
    »Ich bin sehr oft bei dir, aber du bemerkst mich selten«, erklärte er, bevor er sich in einem der Korbsessel vor dem Kamin niederließ. Offensichtlich hatte er dieses Mal vor, länger zu bleiben.
    »Du hast mir einen Schrecken eingejagt. Warum spukst du nicht einfach um Mitternacht, wie jeder andere Geist auch?«, erkundigte Melissa sich flapsig. Sie war in Eile und konnte Julius im Moment nicht gebrauchen. Außerdem fragte sie sich, ob er Alexander und sie beobachtete, wenn sie miteinander schliefen.
    »Ich habe nun schon sehr lange auf dich gewartet. Deshalb bin ich heute gekommen, um dich zu fragen, wann du mit mir gehen wirst.«
    Melissa, die gerade dabei war, sich in ihre Jeans zu schlängeln, hielt inne. »Wie meinst du das? Du weißt doch längst, dass ich nicht Annabelle bin, nicht wahr? Manchmal hast du mich für sie gehalten, weil wir uns ähnlich sehen. Aber ich bin es nun einmal nicht.«
    »Du kannst es aber sein, wenn du es nur zulässt.«
    Über Melissas Rücken lief ein Schauer. Sie dachte an die Momente, in denen sie am selben Ort, aber in einer anderen Zeit gewesen war, an die Augenblicke, in denen sie Dinge gespürt hatte, die gleichzeitig unwirklich und äußerst intensiv gewirkt hatten. Wenn Julius die Wahrheit sprach – wenn sie wirklich die Wahl zwischen der Vergangenheit und der Zukunft hatte, wofür sollte sie sich dann entscheiden?
    Sie hob den Blick und sah in Julius’ nachtdunkle Augen, erinnerte sich an die Minuten und Stunden, in denen sie sich ihm unendlich nah gefühlt hatte, versuchte, sich vorzustellen, wie lang hundertfünfzig Jahre waren und dass er in all dieser Zeit niemals sein Versprechen an Annabelle vergessen hatte. Die Vergangenheit zu wählen würde heißen, sich für die Ewigkeit zu entscheiden, für die Sicherheit unendlicher Liebe und Treue. Die

Weitere Kostenlose Bücher