Mitternachtslust
bot.
Als sich pünktlich um elf Uhr die Glastür öffnete und eine rundliche junge Frau mit einem lebhaften kleinen Mädchen an der Hand, gefolgt von einem riesigen zotteligen Hund den Raum betrat, begrüßte Melissa sie mit einem strahlenden Lächeln.
»Wie schön, dass Sie da sind! Ich habe schon einige wunderbare Ideen für die Fotos. Am besten machen wir uns sofort an die Arbeit, ich freue mich schon darauf.«
Natascha saß bereits wartend an der Bar des kleinen Bistros, als Melissa mit fast einer Viertelstunde Verspätung hereinstürzte.
»Entschuldige! Alexander lief mir über den Weg, als ich aus dem Haus kam, um in die Stadt zu fahren, und wir …« Sie wurde rot und bestellte hastig einen Bitter Lemon.
Alexander und sie waren einander zufällig in der Auffahrt begegnet. Er war von einer Besorgung zurückgekommen, sie hatte gerade gehen wollen. Ein Blick hatte genügt, und sie waren auf den Stufen vor der Haustür übereinander hergefallen. Nur durch ein paar Büsche gegen Blicke von der Straße abgeschirmt, hatten sie es am helllichten Tag dort getrieben, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Manchmal dachte Melissa, dass es nicht ganz normal war, wie sie sich verhielten, aber andererseits genoss sie es viel zu sehr, um auch nur den Versuch zu unternehmen, damit aufzuhören.
»Es geht dir sehr gut, nicht wahr?« Natascha lächelte wissend und nippte an ihrem Mineralwasser.
Zögernd nickte Melissa. Manchmal schämte sie sich ein wenig für ihr Glück, wenn sie daran dachte, dass Richards Tod den Beginn ihres neuen, freien, wunderbaren Lebens gebildet hatte. Doch dann erinnerte sie sich daran, dass ihre Ehe zum jetzigen Zeitpunkt auch längst vorüber wäre, wenn Julius in jener verhängnisvollen Nacht nicht den Schürhaken erhoben hätte. Richard und sie hatten schon lange nicht mehr wirklich zusammengehört. Ihr gemeinsames Leben hatte spätestens an jenem Abend geendet, an dem sie ihn mit seiner Sekretärin auf dem Schreibtisch erwischt hatte, eigentlich aber wohl schon viel früher, wenn es ihr auch nicht bewusst gewesen war.
Auch wenn sie über Natascha nachdachte, die sich täglich mehrmals auf der Bühne auszog, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, konnte Melissa ihr Glück manchmal nicht genießen. Sie hatte ihrer Freundin bereits vorgeschlagen, einen Buchhaltungskurs zu machen und sich in ihrem Fotostudio um den Schreibkram zu kümmern. Dank Richards Geld hätte sie sich eine Angestellte leisten können, obwohl das Studio noch nicht genug abwarf.
Natascha hatte freundlich, aber bestimmt abgelehnt.
»Mach dir keine Gedanken um mich«, hatte sie gesagt. »Auch wenn du es dir vielleicht nicht vorstellen kannst – es geht mir gut dort, wo ich bin.«
»Weißt du eigentlich, dass ich dich manchmal beneide?«, fragte Natascha jetzt leise und beobachtete die Luftbläschen, die in ihrem Glas aufstiegen.
Prompt zuckte Melissa schuldbewusst zusammen. »Aber ich habe dir doch angeboten, für mich zu arbeiten, damit du nicht mehr … Ich würde mich freuen …«
Nataschas Hand legte sich beruhigend auf Melissas Ärmel. »Nein, das meine ich nicht. Es geht nicht um dein Geld oder dein Fotostudio oder dein Leben. Es geht um Alexander.«
Also doch! Nach dem Ball hatte Natascha von Alexander geschwärmt – wie nett er sei und wie aufmerksam er sich um sie gekümmert hatte.
»Aber Alexander ist … Ich glaube nicht, dass er in dich verliebt ist«, entgegnete sie hilflos.
Natascha lachte hell auf. »Hoffentlich nicht! Ich bin schließlich auch nicht in ihn verliebt. Und außerdem soll er sich gefälligst auf dich konzentrieren und dich glücklich machen. Du hast es verdient, mit einem Mann zusammen zu sein, der dich liebt und respektiert.«
»Aber eben hast du doch gesagt, du würdest mich um Alexander beneiden.« Irritiert sah Melissa ihre Freundin an.
»Ich gönne ihn dir, und ich gönne dir dein Glück, aber ich beneide dich ein wenig darum, dass der Mann, den du liebst, deine Liebe erwidert.«
Endlich begriff Melissa. »Gibt es jemanden, den du liebst und der dich nicht will?«
»So ungefähr. Meine Gedanken kreisen ständig um diese eine Person, aber sie nimmt mich nicht einmal richtig wahr.« Natascha lächelte traurig und nahm einen großen Schluck aus ihrem Glas.
Plötzlich erinnerte Melissa sich daran, wie Natascha damals gesagt hatte, sie habe andere Träume als die Mädchen in der Bar, die sich danach sehnten, als Models berühmt und reich zu werden. Sie träumte also von einem Mann.
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