Mitternachtspicknick
natürlich, dass er ihr auswich. Zornig sagte sie: »Gib doch zu, dass ihr mit mir nichts zu tun haben wollt! Insgeheim schmiedet ihr Pläne, aber ich soll nichts davon wissen. Wie gemein ihr alle seid! Aber macht nur, was ihr wollt! Ich lege gar keinen Wert darauf, mit euch zusammen zu sein. Versucht doch, das Geheimnis alleine zu lösen. Aber passt nur auf, dass ich euch nicht in die Quere komme!«
»Was hast du denn vor, Kathrin?«, fragte Tom beunruhigt.
Das Mädchen gab keine Antwort mehr. Sie legte sich in ihre Kissen zurück und schloss die Augen. Tom gab auf. Er verließ das Zimmer.
Draußen stieß er mit der Schwester zusammen.
»Was suchst du hier?«, fragte sie misstrauisch.
Tom murmelte, er habe die arme Kathrin einmal besuchen wollen, weil sich sonst niemand um sie kümmere. Die Schwester schüttelte tadelnd den Kopf.
»Wann darf Kathrin denn wieder aufstehen?«, fragte Tom.
»Oh, morgen früh schon«, entgegnete die Schwester. »Sie hatte recht hohes Fieber, deshalb ließ ich sie einen Tag länger liegen als die anderen. Aber sie ist im Grunde wieder völlig in Ordnung.«
»Oh«, sagte Tom schwach. So ein Pech! Er hatte gehofft, Kathrin sei wenigstens für ein paar Tage noch ans Bett gefesselt. Nun würde sie also morgen wieder aufstehen. Und zu allem bereit sein.
Nachdem Kathrin eine halbe Stunde geweint hatte - aus Wut, Kummer, Ärger und Enttäuschung -, verließ sie entschlossen das Bett, tappte ins Bad hinüber und kühlte ihr rot geflecktes, geschwollenes Gesicht mit kaltem Wasser. Niemand brauchte zu sehen, wie unglücklich sie sich fühlte. Tom hatte es ihr klargemacht: Die Jungen und Mädchen in der Eulenburg wollten mit ihr nichts zu tun haben. Gut, im Grunde hatte sie das vorher schon gewusst, aber es schmerzte, wenn man es noch einmal so deutlich beigebracht bekam. Sie gehörte einfach nicht hierher. Wie sagte ihre Mutter immer? »Du bist zu erwachsen, zu reif, Kathrin. Mach dir keinen Kummer, wenn die anderen nicht nett zu dir sind, sie können dich einfach nicht verstehen.«
Ich werde Mami anrufen, dachte sie, ich werde ihr alles erzählen. Vielleicht kommt sie gleich und holt mich ab.
Sie schlüpfte in ihren Morgenmantel und öffnete leise ihre Zimmertür. Keine Spur von der Schwester. Unten in der Eingangshalle gab es ein Münztelefon, und da alle auf der Wanderung waren, hoffte Kathrin, ein ungestörtes Gespräch führen zu können. Aber auf der Treppe kam ihr plötzlich ein anderer Einfall. Tom und die anderen hatten sich zusammengetan, um gemeinsam das Rätsel der Einbrüche zu lösen - warum sollte sie es ihnen nicht mit gleicher Münze heimzahlen und sich auch einen Verbündeten suchen, mit dem sie die Sache besprechen konnte? Natürlich nicht mit Steffi, Benny, Tina oder einen von den anderen Babys. Es musste jemand sein, der so war wie sie - erwachsen.
Im ersten Moment dachte sie an Frau Andresen, verwarf den Einfall aber gleich wieder. Mit dieser Frau war sie nicht recht warm geworden, und womöglich würde sie nur ausgelacht. Außerdem war sie Toms Mutter. Am Ende erzählte sie es ihm gleich weiter.
Im Grunde kam nur Simone infrage, die schöne blonde Simone, die genauso war, wie Kathrin gern gewesen wäre. Überlegen, kühl, beherrscht, Respekt einflößend. Simone, wie gern würde sie sich mit Simone verbünden!
Sie wusste, dass die Reitlehrerin sie nicht besonders mochte, aber sie schob das auf ihre mangelnden Künste hoch zu Ross, denn obwohl Kathrin dazu neigte, sich zu überschätzen, gab sie sich selbst gegenüber zu, dass ihre Leistungen auf diesem Gebiet nicht gerade überragend waren. Diesmal aber ging es nicht um Pferde, sondern um eine wirklich spannende Geschichte, bei der Kathrin zeigen konnte, dass sie Mut hatte, Beobachtungsgabe besaß und kombinieren konnte. Vielleicht würde sie sogar endlich Achtung gewinnen.
»Herein«, erklang es, nachdem sie zaghaft an Simones Zimmertür geklopft hatte. Sie trat ein, schloss die Tür hinter sich. Simone saß am Schreibtisch und schrieb offenbar einen Brief. Sie trug einen blassgrünen Rollkragenpullover - ein wunderbares Grün, dachte Kathrin, ich frage mich, wo man so etwas bekommt - und große silberne Ohrringe. Sie wirkte keineswegs erfreut, als sie Kathrin erblickte.
»Was tust du denn hier? Warum bist du nicht mit den anderen bei der Wanderung? Und wieso bist du überhaupt nicht richtig angezogen? Fehlt dir etwas?«
Die Fragen kamen in der hektischen, nervösen Art, die Simone oft an sich hatte.
Weitere Kostenlose Bücher