Mitternachtsschatten
viele Dinge ins Rollen gebracht, er wollte retten, was zu retten war.
Coltrane begann zu packen, warf seine Kleider in den Koffer. Die Sonne war nun schon über den Bäumen zu sehen, als er etwas hörte. Ein leises, schlurfendes Geräusch, und sein Blut gefror.
Die Geister, dachte er, obwohl er nicht an sie glaubte. Trotzdem wusste er, dass sie auf ihn zukamen. Sie bewegten sich langsam, fast lautlos, es lag nur ein ferner, wispernder Klang in der Luft, der sie ankündigte. Verdammt, er war viel zu müde, um klar zu denken. Er hörte ein klickendes Geräusch – klick, klick, klick – und ging instinktiv auf die Terrassentür zu. Nur gut, dass Rachel-Ann nicht zu Hause und somit vor den Gespenstern sicher war. Und davon abgesehen, dass Jilly sie gar nicht sehen konnte, wollten sie ihr auch bestimmt nichts Böses.
Er hingegen verdiente jegliche Form von Strafe, in diesem Leben oder im nächsten, und so wartete er einfach, während die Tür sich langsam öffnete, und bereitete sich darauf vor, den Toten gegenüberzutreten.
Roofus sprang ihn mit überschäumender Freude an. Jilly kam hinter ihm her, behutsam einen verbundenen Fuß vor den anderen setzend. Coltrane starrte die beiden an, und jetzt wünschte er, dass es tatsächlich die Geister gewesen wären.
Jilly blieb in seinem Zimmer stehen. Die Schmerztabletten waren offenbar doch nicht so stark gewesen, wie er gedacht hatte, denn sie sah hellwach aus. Sie hatte die blutverkrusteten Kleider ausgezogen und trug etwas, von dem sie wahrscheinlich dachte, es sei kein bisschen provozierend. Und an den meisten Frauen sahen ein viel zu weites T-Shirt und Jeans ja auch wirklich nicht sonderlich aufregend aus. Aber was ihn betraf, so musste Jilly nur einmal atmen, und schon war er erregt.
Ihr Haar fiel wie ein dunkler Vorhang auf ihre Hüften herab, ihr Gesicht sah in der Dämmerung blass aus. Sie betrachtete den Koffer auf seinem Bett und blickte ihn dann an. „Sie verlassen uns?“ fragte sie mit klarer Stimme.
„Das habe ich Ihnen doch gesagt.“
„Warum denn? Haben Sie keine Lust mehr, Ärger zu machen?“
„Was ich an Ihnen am meisten liebe, Jilly Meyer, ist Ihr gutmütiges Wesen“, sagte er müde. „Ich verschwinde, bevor alles nur noch schlimmer wird. Ich muss nur noch ein paar Dinge erledigen, und dann werden Sie mich nie mehr wiedersehen. Sie können sich freuen.“
„Ich will nicht, dass Sie gehen“, antwortete sie einfach. „Ich brauche Ihre Hilfe.“
Er konnte seine Überraschung nicht verbergen. „Sie brauchen meine Hilfe?“ wiederholte er ungläubig. „Die starke, kämpferische Jillian, die Gebieterin über das Universum, die Beschützerin der Armen, die Verteidigerin der Familie, braucht eine Schlange wie mich? Ich dachte, Sie könnten alles schaffen?“
Sie humpelte durch das Zimmer zum Bett und ließ sich neben seinem Koffer nieder. Es gab keinen anderen Platz, wo sie sich in diesem heruntergekommenen Zimmer hätte setzen können, und ihre Füße schmerzten bestimmt. Doch sie dort auf seinem Bett zu sehen, raubte ihm fast den letzten Nerv.
„Ich schaffe überhaupt nichts“, sagte sie sehr leise. „Ich kann nichts in Ordnung bringen, ich kann nichts retten, ganz egal, wie sehr ich es versuche. Ich bringe meinen Vater nicht dazu, Dean mehr und Rachel-Ann weniger zu lieben. Und, verflucht, ich kann ihn nicht dazu bringen, mich überhaupt zu lieben.“ Sie grinste ironisch. „Nicht dass ich das wollte, keine Angst. Jackson kann sehr charmant sein, wenn er etwas will, aber ich habe oft genug erleben müssen, wie wenig das bedeutet. Deswegen hasst er mich. Ich bin der einzige Mensch, der ihn so sieht, wie er wirklich ist, und nichts, was er tut, kann mich vom Gegenteil überzeugen.“
„Ich glaube kaum, dass Sie der einzige Mensch sind“, widersprach Coltrane. „Ihm ist es nicht gelungen, mich zu täuschen.“
„Und trotzdem arbeiten Sie für ihn? Dann sind Sie schlimmer, als ich dachte“, sagte sie.
„Das ist unmöglich. Sie denken, ich bin Abschaum. Dreck, Schmutz, nicht unähnlich dem, was in Ihrem verlassenen Pool schwimmt.“ Er sagte das mit voller Absicht, um ihre Reaktion zu testen.
Sie zuckte sichtbar zusammen. „Ich mag dieses … Schwimmbad nicht.“ Ihre Stimme klang angespannt. „Ich will es nicht ansehen, ich will nicht darüber sprechen. Vor vielen Jahren ist dort etwas Schreckliches passiert, und das infiziert das ganze Grundstück.“
„Ist Ihnen etwas Schreckliches passiert?“
„Nein. Nicht wirklich.
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