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Mitternachtsstimmen

Mitternachtsstimmen

Titel: Mitternachtsstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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auch kein Patienten-ArztVertrauensverhältnis gibt, oder?«
»Haarspaltereien, Sergeant Oberholz.«
»Oberholzer«, korrigierte nun der Detective seinerseits und
sah zu, dass er genau so viel Betonung auf die letzte Silbe legte
wie Caseman auf die erste gelegt hatte. »Wenn ich Sie also
richtig verstanden habe, ist sie eine Patientin, aber Sie
bezeichnen sie nicht als solche?«
Caseman seufzte so resigniert, als versuchte er einen
aufsässigen Sechsjährigen zu belehren. »Das Wort ›Patient‹
impliziert Krankheit«, begann er, aber Oberholzer hatte die
Nase bereits voll.
»Genau wie der Titel ›Doktor‹ oder?«, fiel er ihm ins Wort.
»Okay, ich denke, wir haben genug Unsinn geredet. Ist
Caroline Fleming nun hier oder nicht?«
»Ist sie«, bequemte sich Caseman einzuräumen, aber erst
nach einer kurzen Pause, in der er anscheinend überlegte, ob er
Chancen hatte, diesen Zweikampf zu gewinnen. »Also schön,
wenn Sie darauf bestehen.« Er hielt Oberholzer den Türflügel
auf, ließ ihm den Vortritt und führte ihn dann zu einem
Aufzug, der sie in den dritten Stock brachte. Als sie die
winzige eichenvertäfelte Kabine verließen, standen sie in
einem Flur, der durch die gesamte Länge des Gebäudes führte.
Wie im Vestibül unten glaubte man sich in diesem Flur auch
eher in einem kleinen, eleganten Hotel statt in einer Klinik, und
in einem Alkoven saß wieder eine elegant gekleidete Frau in
den Vierzigern hinter einem Schreibtisch. »Den Schlüssel zu
Mrs. Flemings Suite, bitte. Mrs. Archer.«
Nachdem sie einen verglasten Schrank geöffnet hatte, nahm
sie einen dieser altmodischen Hotelschlüssel vom Haken – der
schon viele Jahre vor der Erfindung der modernen
Chipkartenschlüssel seinen Dienst versehen hatte.
Keine Minute später fand sich Oberholzer Caroline EvansFleming gegenüber. Sie lag halb aufgerichtet und von drei
Kopfkissen gestützt im Bett. Das Haar hing ihr schlaff um das
aschfahle Gesicht, und ihre Augen hatten einen glasigen
Schimmer. »Mrs. E–«, begann Oberholzer, berichtigte sich
jedoch rasch. »Mrs. Fleming?«, sprach er sie an, doch Caroline
Fleming starrte nur weiter geradeaus, als hätte sie ihn weder
gehört noch gesehen.
»Sie ist erschöpft und hat ein Beruhigungsmittel
bekommen«, erklärte Caseman.
Oberholzer trat näher ans Bett und beugte sich etwas vor.
»Mrs. Evans?«, sagte er und benutzte nun absichtlich den
Namen, unter dem er sie vor etlichen Monaten kennen gelernt
hatte. »Ich bin Detective Oberholzer.«
Einen Moment lang kam keine Reaktion, doch dann
schwang Carolines Kopf langsam herum, bis sie ihn ansah.
Etwas flackerte in ihren Augen auf, und sie hob die Hand, als
wollte sie sie ihm entgegenstrecken.
»Tot«, flüsterte sie. »Alle. Sie sind alle tot.«
Oberholzer ergriff ihre Hand. »Keine Sorge«, sagte er. »Wir
werden herausfinden, was mit Ihrer Freundin passiert ist.«
Carolines Lippen bewegten sich, und dabei blickten ihre
Augen im Zimmer umher, als hielten sie nach einem
unsichtbaren Feind Ausschau. »Sie verstehen nicht«, hauchte
sie. »Alle von ihnen – sind tot.« Ihre Stimme wurde immer
lauter, als sie die Worte ein ums andere Mal wiederholte. »Tot!
Tot! O Gott, warum glaubt mir denn niemand? Alle sind sie
tot!« Ihre Stimme wurde zu einem Wimmern, ihre Augen
füllten sich mit Tränen, und einen Moment später schluchzte
sie.
»Ist ja gut, Mrs. Fleming«, sagte Harold Caseman, der mit
einem Mobiltelefon in der Hand ans Bett getreten war, in das er
so schnell ein paar Worte sprach, dass Oberholzer nicht folgen
konnte. Kaum hatte er das Handy wieder eingesteckt, erschien
auch schon eine Krankenschwester mit einer Injektonsspritze.
Ein paar Sekunden später war Caroline Fleming am
Einschlafen. Doch kurz bevor sie die Augen schloss, fixierte
sie Frank Oberholzer mit ihrem verschwommenen Blick und
streckte die Hand nach ihm aus. »Helfen Sie ihnen«, wisperte
sie. »Helfen–«
Doch ehe sie zu Ende sprechen konnte, brachten die Drogen
sie zum Schweigen, und ihre Hand fiel schlaff aufs Bett
zurück.
    »Mom?« Wie ein Dunstschleier glitt das Wort über Lauries
Lippen und löste sich so rasch auf wie Nebel in der Morgensonne. Nur dass es hier keine Sonne gab – nein, eigentlich gab
es überhaupt kein Licht; nur eine graue Düsterkeit, die Laurie
wissen ließ, dass sie nicht länger in ihrem Zimmer war, aber
längst nicht hell genug, um auszumachen, wo sie sich befand.
    Sie versuchte sich aufzusetzen, doch das

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