Mitternachtsstimmen
die meisten
konnte er nichts sehen, doch wenn er etwas sah, dann immer
Räume, der wie Kinderzimmer eingerichtet waren.
Aber außer ihm und Laurie und Rebecca gab es keine Kinder
in diesem Haus.
Und Rebecca war inzwischen weg.
Und Laurie –
Beinahe hätte er angefangen zu weinen. Ganz gleich, was
Tony sagte, Ryan war überzeugt davon, dass Laurie nicht zur
Schule gegangen war und auch nach der Schule keine Freundin
besuchte, wie Melanie ihm weismachen wollte.
Wenn sie Laurie nun etwas angetan hatten, und seine Mutter
nicht heimkam –
An dem Punkt zwang er sich, nicht weiter zu denken, denn
wenn er jetzt anfinge zu weinen, könnte er sicherlich nicht
mehr damit aufhören, und jemand könnte es hören, oder er sich
verlaufen, oder –
Das wollte er sich gar nicht genauer ausmalen, und um sich
daran zu hindern, an all die Dinge zu denken, die passieren
könnten, konzentrierte er sich darauf, bei der Markierung
seines Wegs, den er genommen hatte, keine Fehler zu machen.
An jeder Abzweigung malte er mehrere Pfeile an die Mauer,
um jeglichem Irrtum vorzubeugen, und er schrieb sogar
Nummern dazu, damit er später wusste, in welchem Stockwerk
er sich bewegte.
Deshalb war er sich auch ziemlich sicher, dass er sich
momentan im Keller befand, denn er war sieben Etagen nach
unten gegangen, ausgehend von der Decke seines Zimmers, das
im sechsten Stockwerk lag. Hier unten gab es nur einen Gang,
der viel breiter war als die oberen, es gab keine Abzweigungen,
und der Boden bestand aus Zement.
Und es roch so komisch – modrig und irgendwie verfault.
Am Ende des Gangs sah er eine Tür und auf halbem Weg
dorthin entdeckte er seitlich in der Mauer eine zweite.
Unschlüssig, welche er zuerst probieren sollte, blieb er
stehen und entschied sich schließlich für die ihm am nächsten
liegende.
Abgesperrt.
Im Strahl seiner Taschenlampe erkannte er, dass es ebenfalls
eine Mahagonitür war, jedoch ohne die Schnitzereien, die die
meisten Türen in dem Gebäude zierten. Gleichzeitig entdeckte
er, dass sie das gleiche Schlüsselloch besaß wie auch seine
Zimmertür und alle anderen Türen, die er bisher im Haus
gesehen hatte.
Er zog den Schlüsselbund aus der Tasche und begann sie der
Reihe nach auszuprobieren.
Der Zwölfte passte.
Das Schloss ließ sich öffnen.
Ryan nahm allen Mut zusammen, knipste die Taschenlampe
aus und drehte den Türknauf.
Die Tür schwang auf, und ein schrecklicher Gestank schlug
ihm entgegen, so intensiv, dass er unwillkürlich einen Schritt
zurückwich und sich die Nase zuhielt. Doch ein paar
Augenblicke später siegte die Neugier über seinen Ekel, und er
ging so nahe zur Tür, dass er hineinsehen konnte.
Hinter der Tür lag ein großer Raum, mit Holzbalken an der
Decke, die das Stockwerk darüber trugen. Es war nicht
stockfinster in dem Raum, im Gegenteil, nach den düsteren
Gängen kam es Ryan hier drinnen beinahe hell vor. Ryan
entdeckte auch sofort, woher das Licht kam – von ein paar
schmalen Fenstern hoch oben in der rückwärtigen Mauer, die
sich in den Abflussgraben öffneten, der um das gesamte
Gebäude führte.
Aber es war trotzdem nicht hell genug, dass er viel erkennen
konnte.
Er knipste die Taschenlampe wieder an.
Und hörte im gleichen Moment ein schwaches Stöhnen.
Sofort machte er die Lampe wieder aus.
Es folgte eine lange Stille, währenddessen sich Ryans Augen
an das schummrige Licht gewöhnten. Als sich der Laut nicht
wiederholte, wagte er sich langsam weiter in den Raum vor,
blieb aber nach jedem Schritt stehen, um zu horchen. Nach
etwa zehn Schritten stieß er auf einen dieser Wagen, mit dem
sie im Krankenhaus die Leute herumschoben. Aber was hatte
so ein Ding hier unten im Keller des Rockwell zu suchen?
Ein paar Schritte später traf er wieder auf so einen
Rollwagen, nur war der diesmal nicht leer.
Er war mit einem Tuch abgedeckt, und unter dem Tuch lag
etwas.
Etwas, das diesen grässlichen Gestank verbreitete. Einige
Minuten stand Ryan ganz still vor dem Wagen – und der
reglosen Gestalt unter dem Tuch – und kämpfte gegen den
Drang an, umzukehren und zurück in den dunklen Gang zu
schlüpfen. Doch noch ehe er den ersten Schritt zurück machte,
flüsterte eine Stimme in seinem Kopf: Wenn das nun Laurie
ist? Aber es konnte nicht Laurie sein.
Oder doch?
Er zögerte.
Seine Angst wuchs, und während ein kalter Schweißfilm
seine Haut überzog, wurde die Stimme immer nachdrücklicher,
und schließlich streckte er die Hand aus und hob
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