Mittsommersehnsucht
warf.
»Welch nettes Bild!« Ihre Stimme war voller Bissigkeit. »Ich komme wohl im falschen Moment. Sorry.« Und schon drehte sie sich um.
»Nina!« Jonas lief ihr nach. »So warte doch! Andrea und ich …«
»Lasst euch nicht stören.« Sie warf ihm eine Kusshand zu. »Wir sehen uns wieder, das weißt du doch.«
Mit hängenden Armen blieb Jonas in der Halle stehen. Andrea sah ihn an – fast so etwas wie Mitleid empfand sie für ihn. Der Ritter von der traurigen Gestalt, schoss es ihr durch den Kopf. Und im nächsten Atemzug erschien Magnus’ Bild in ihrer Erinnerung. Männlich, in sich ruhend, selbstsicher und souverän.
»Halt sie auf, wenn du sie willst«, sagte sie zu Jonas. »Ich muss gehen. Das Taxi wartet.«
26
A uf der Insel standen nur vier altersschwache Holzhütten. Bucklige Felsen schützten das Eiland im kleinen Ski-Fjord. Die rot-weiß gestrichene Rorbuer von Nik Yitterdal besaß als einzige einen Bootssteg, der ungewöhnlich stabil gebaut war. So, wie sich auch der Anbau hinter dem altersschwachen Holzhäuschen als neu und wetterfest erwies. Vom Ufer aus war dieser Teil allerdings nur schwer zu erkennen, ein paar niedrige Sträucher und ein hoher Holzstoß verdeckten die Sicht.
Mit lautem Motorengeräusch näherte sich ein schnittiges weißes Boot und legte neben Niks Kahn an. Am Heck flatterte die norwegische Fahne, an den Seitenfenstern der kleinen Kajüte hingen dichte braune Gardinen.
»Hei, Giftmischer, bist du da?« Mit langen Sätzen sprang Holger Nerhus aus dem Boot und vertäute es, langsamer folgte ihm Tom Rheenhus, der Galerist.
»Schrei nicht so!«, kam Niks Stimme aus der offenen Tür des Anbaus.
»Hierher verirrt sich doch keine Menschenseele.« Holger lachte geringschätzig.
»Idiot«, zischte Tom. »Die Hütten werden doch immer mal wieder bewohnt.«
»Was scheren mich die alten Fischer? Die sollen aufpassen, dass ich ihnen keinen Tritt verpasse und sie mit den Krabben um die Wette robben müssen.« Holger lachte wieder.
»Halt endlich die Klappe, Idiot! Du bist ja wieder total zugedröhnt.« Tom schob den Jüngeren zur Seite und ging in den Schuppen. Hier war ein komplettes Labor eingerichtet, und Nik, ein Chemiestudent, hantierte an einigen Glaskolben. Das lockige rotblonde Haar hatte er im Nacken mit einem Gummiband zusammengebunden. Im linken Ohr blitzte ein kleiner Brillant.
»Bin gleich so weit«, murmelte er, ohne den Kopf zu heben.
»Hast du alles fertig?« Tom trat neben ihn.
»Klar doch.«
»Hab ich dir ja gesagt! Nik hält, was er verspricht.« Wieder kicherte Holger. Er tänzelte zu einer Truhe, die mit alten Fischernetzen bedeckt war. »Meine Schatztruhe! Wie schön!«
»Finger weg!«, riefen Nik und Tom fast gleichzeitig.
»Stellt euch doch nicht so an. Spielverderber!« Wieder wollte er sich am eisernen Verschluss der Truhe zu schaffen machen, aber Nik machte drei Schritte auf ihn zu und schob ihn so heftig zur Seite, dass Holger taumelte.
Tom presste die Lippen zusammen. »Wenn er weiter so kifft, wird er noch zum Problem«, raunte er Nik zu.
Nik antwortete nicht, er arbeitete schweigend noch ein paar Minuten weiter. Erst als der letzte Tropfen der hellgrünen Flüssigkeit in den großen Glaskolben geronnen war, sah er auf. »Ich hatte noch nicht mit dir gerechnet.« Er gab Tom die Hand. »Was ist passiert?«
»Nichts. Nur … ich brauche rascher Nachschub als gedacht.«
»Wie stellst du dir das vor? Mehr als arbeiten kann ich auch nicht.«
»Ich muss liefern. Sonst machen mir die Russen das Geschäft kaputt. Die warten nur drauf, dass sich eine Marktlücke bietet.«
»Sechs Behälter haben wir dabei.« Holger kicherte. »So wertvolle Bildchen hängen nicht mal im Louvre.«
Tom schüttelte nur den Kopf. Er wandte sich ausschließlich an Nik. »Hoffentlich ist das Zeug, das du da zusammengebraut hast, besser als das, was Holger sich reingepfiffen hat.«
»Willst du probieren?«
»Nein, kein Bedarf.«
»Dann lass mich!« Holger sah mit glitzernden Augen auf die kleinen Päckchen mit hellblauem und weißem Pulver, die Nik aus einer Schublade seines altersschwachen Schreibtisches holte.
»Hier sind sie – meine Badesalze«, sagte er dabei.
»Das war bislang die Domäne der Asiaten.«
»Stimmt.« Nik war, wie immer, höchst wortkarg. »Ich kann’s aber auch«, fügte er schließlich selbstgefällig hinzu.
Tom prüfte ein paar Päckchen. Er selbst nahm keine Drogen, wusste aber recht gut über die in der Szene beliebten Designer-Drogen
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