Modemädchen Bd. 1 - Wie Zuckerwatte mit Silberfäden
aber sie wirkt glücklich dabei. Als sie merkt, dass ich sie beobachte, lächelt sie mich kurz an.
Sie hält ein filigranes Stoffteil hoch, das aussieht wie ein Blatt, das von einer Raupe angefressen wurde.
»Was wird das?«, frage ich.
»Eine asymmetrische Korsage«, erklärt sie beiläufig, »mit einer Möbiusschleife als Träger.«
»Oh.«
Was sie meint, ist ein einärmeliges Oberteil, bei dem der Stoff über der Schulter einmal gedreht und linksrum hinten am Saum festgenäht ist. (Jetzt klinge ich schon wie Edie.) Für jemanden, der kaum das Wort »Stuhl« buchstabieren kann, hat Krähe den Couture-Jargon ziemlich gut drauf.
Sobald Jenny sich etwas von ihrem Jetlag erholt hat, wird es Zeit, ihr das Geheimnis des grünäugigen Sexgotts zu entlocken. Auf diesen Moment warte ich seit Wochen, und diesmal kommt sie mir nicht davon. Seit sie wieder da ist, habe ich jede Geschichtevon jedem A-Promi gehört, den sie kennengelernt hat, bis auf einen. In ihrer Liste klaffte eine auffällige, mich auf die Folter spannende Lücke. Ich bin fest entschlossen herauszufinden warum.
Ich will sie für Samstag auf einen Plausch ins V&A-Café einladen, doch sie kommt mir zuvor. Als sie anruft, fällt mir ein neuer Ton in ihrer Stimme auf. Ich will wissen, was los ist, aber sie möchte es mir erst sagen, wenn wir uns sehen. Sie muss mich unbedingt gleich am Nachmittag treffen. Eigentlich soll ich mit Edie zu einem Spendenlauf zu Gunsten von krebskranken oder psychisch kranken Menschen oder so was gehen, aber mit billigem Starruhm kriegt man mich immer. Ich sage den Spendenlauf ab und sitze zehn Minuten zu früh an meinem Stammtisch im Café, die Smoothies sind bestellt.
Jenny trägt eine Montur, die sie wohl für ihr Inkognito-Outfit hält. Seit Kid Code die Welt erobert hat, wird sie, egal wo sie hingeht, angestarrt und um Autogramme und Fotos gebeten. Allerdings gehören zu ihrer Vorstellung von unauffällig eine Tom-Ford-Sonnenbrille, ein riesiger Louis-Vuitton-Schal, den sie sich bis zur Nasenspitze ums Gesicht wickelt, und eine von Krähes mit Perlen bestickten Häkelbaskenmützen. Sie könnte genauso gut mit einem Neonschild durch die Gegend laufen, auf dem steht: »Ich bin ein Promi, sprich mich an.«
Und sie muss tatsächlich in zwei Handykameras lächeln und ihr Autogramm auf eine Serviette und einen Museumsprospekt kritzeln, bevor sie sich setzen kann.
»Wenigstens kann ich noch raus«, sagt sie, als sie angekommen ist. »Die anderen können ohne Leibwächter und Evakuierungsplan keinen Fuß vor die Tür setzen.«
Ich versuche Mitleid für Hollywoods heißestes Paar und den neuen Teenager-Sexgott aufzubringen, aber es gelingt mir nicht.
»Also. Schieß los«, befehle ich.
»Okay.« Sie atmet tief durch. »Wir sind für die National Movie Awards nominiert.« Sie lehnt sich gespannt zurück und erwartet, dass ich vor Ehrfurcht erzittere.
»Was sind die National Movie Awards?«
Sie lässt die Schulter hängen. »Die britischen Filmpreise. Du weißt schon. Vom Publikum gewählt. Die Leute geben ihre Stimme in den Kinos ab. Die Preisverleihung wird im Fernsehen übertragen. Hast du sie letztes Jahr nicht gesehen?«
Ich zerbreche mir den Kopf, aber ich kann mich nicht erinnern. Jenny sieht eindeutig enttäuscht aus. Und dann kapiere ich endlich.
»Heißt das, du kommst ins Fernsehen?«
Sie nickt. »Im September.«
»Wow! Bist du nominiert? Als bester Jungstar, meine ich?«
Jenny schnaubt. »Natürlich nicht. Aber Joe. Und unsere Hauptdarstellerin. Und der Film an sich – bestes Actionabenteuer.«
Sie grinst. Obwohl sie während der ganzen Dreharbeiten gelitten hat, ist sie sehr stolz auf den Film und betrachtet das Team irgendwie als ihre Familie. Eine schräge, merkwürdige Familie, aber trotzdem Familie.
»Also kommen alle nach London?«, frage ich.
Sie schüttelt den Kopf. »Nein. Die anderen drehen. Außer Joe.«
Dann stoppt sie und wird erdbeerrot. Ich sage nichts, sondern sehe sie fragend an. Sie wird noch röter – himbeerrot – und willihren Smoothie austrinken, wobei sie vergisst, dass sie ihn schon fast ausgetrunken hat, und aus dem Strohhalm kommt ein lautes Röcheln.
Ich halte meinen fragenden Blick. Schließlich sieht sie mich eigensinnig an.
»Was? Joe? Was ist mit Joe?«
»Genau. Was ist mit ihm? In London schien er dir aus dem Weg zu gehen. Und jedes Mal, wenn sein Name fällt, wirst du knallrot. Sogar wenn du selber von ihm redest.«
»Das stimmt nicht!«, protestiert sie,
Weitere Kostenlose Bücher