Modemädchen Bd. 3 - Wie Sahnewolken mit Blütentaft
nicht managen, aber irgendwas kann ich sicher tun. Ich blättere weiter durch die Skizzen. Sie sind so wunderschön, und sie zeigen mit solcher Klarheit, in welche kreative Richtung sie geht. Aha! Ich habe eine Idee – meine letzte Chance, mich nützlich zu machen.
Ich sehe mich um wie ein Dieb, dann packe ich eine Auswahl der besten Skizzen ein und schleiche die Treppe hoch bis unters Dach, wo Mum so ein Farbscanner-Drucker-Ding hat. Vorsichtig scanne ich eine Skizze nach der anderen ein und benutze Mums E-Mail-Konto (das ich ihr eingerichtet habe und regelmäßig für sie update), um sie an mich selbst zu mailen. Dann lege ich die Skizzen zurück ins Atelier, so unordentlich wie möglich, damit es genau so aussieht, wie Krähe alles zurückgelassen hat.
Einerseits habe ich ein schlechtes Gewissen, dass ich das alles hinter ihrem Rücken tue, aber andererseits macht sie neuerdings auch manches hinter meinem Rücken. Außerdem habe ich früher auch schon heimlich Dinge angezettelt, zum Beispiel als ich sie für ihre erste Modenschau angemeldet habe. Damals ist alles gut gegangen. Und diesmal wird es auch gut gehen. Wenn sie merkt, dass ich es nur zu ihrem Besten getan habe, wird sie mir verzeihen. Alles wird gut.
Dann kann sie immer noch ohne mich Karriere machen, wenn sie will.
Ich gehe in mein Zimmer und suche die E-Mail-Adresse der Kamelhaarmänner in New York heraus. Ich schicke ihnen die Scans der Skizzen und eine Erklärung, was für Stoffe Krähe vorschweben. Krähe neigt dazu, sich auf drei (schlecht buchstabierte) Wörter zu beschränken, obwohl die meisten Leute mindestens zwanzig brauchen, um ungefähr zu verstehen, worauf sie hinauswill. Ich spüre einfach, was sie will. Sie will sexy, moderne Großstadtformen mit afrikanischen Ethno-Stoffen mixen. Mit ihren Entwürfen ist sie am Puls der Zeit, und die fair gehandelte Bio-Baumwolle, die sie verwenden will, ist auch am Puls der Zeit. Mir zittern die Finger beim Tippen, aber es ist aufregend. Es fließt einfach so aus mir heraus. Es fühlt sich wirklich an, als tue ich das Richtige.
In den folgenden Tagen warte ich auf eine Antwort der Kamelhaarmänner, doch es kommt nichts. Ich sehe Krähe ein paarmal im Atelier, und jedes Mal achte ich darauf, dass ich kein Wort über ihre neuen Skizzen verliere. Sie sagt auch nichts. Sie redet kaum. Wenn, dann davon, wie schön es war, »zu Hause« über die Märkte zu schlendern. Oder wie sehr Henry sich auf nächstes Jahr und seine neue Stelle als Lehrer dort freut. Oder wie beeindruckend die Nähkünste der kleinen Victoria sind. Wenn sie überhaupt von London spricht, dann hauptsächlich von Hausaufgaben und bevorstehenden Prüfungen, und wie stressig erst die A-Levels sein müssen, die sie noch vor sich hat. Mit Krähe zu reden ist fast so, wie mit Edie zu reden, eine Entwicklung, die ich nie für möglich gehalten hätte.
Mit Edie zu reden ist allerdings noch schlimmer.
»Ich kann mich an nichts erinnern«, sagt sie eines Tages gegen Ende des Halbjahrs. »Morgen habe ich das Vorstellungsgespräch für Harvard, und allein bei dem Gedanken wird mir schlecht. Ich weiß nicht mal mehr, wie ich auf Fragen antworten soll wie: ›Warum willst du nach Harvard?‹«
»Du willst schon dein ganzes Leben dorthin«, erinnere ich sie. »Sag einfach, was dir spontan einfällt. Das musst du nicht üben.«
Im Grunde war ihre ganze Schulzeit nur die Vorbereitung auf diesen einen Moment.
»Hm«, sagt sie. »Das Gleiche sagt Phil auch. Er hat gesagt, ich soll mich nicht so aufregen.«
»Er hat Recht.«
»Das sagst du immer. Vielleicht hatte er ja auch Recht, als er sich eine neue Freundin gesucht hat.«
»WIE BITTE?«
»Sie sind seit ein paar Wochen zusammen. Er hat gesagt, er hätte die Nase voll, dass ich ihn nie besuchen komme. Er hat gesagt, ich hätte mich verändert, und er kann nicht ewig warten, bis ich richtig zu leben anfange.«
»Und das sagt er dir ausgerechnet jetzt? Vor deinem Vorstellungsgespräch? Wenn du total im Stress bist?«
Eigentlich habe ich Phil immer gemocht, aber jetzt hasse ich ihn. Wie kann er nur so brutal sein? Kein Wunder, dass Edie ein Schatten ihrer selbst ist.
»Er wollte es nicht jetzt sagen«, verteidigt sie ihn. Selbst jetzt ist sie noch die Güte in Person. »Es ist irgendwie rausgekommen. Es hat ihm echt leidgetan.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
»Anscheinend heißt sie Ramona.«
Ramona hasse ich auch. Auch wenn sie nur ein Name für mich ist.
Ich rechne damit, dass
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