Moderne Piraten
wieder empor. Dann lagen auch Netz und Hülle des »Greif« geborgen auf dem Deck.
Lange Zeit dauerte es, bis mit endlosem Reiben und Massieren und mit viel heißem Tee der Bewußtlose wieder in das Leben zurückgerufen war. Bis auf den Tod hatte die fürchterliche Sturmfahrt ihn erschöpft, schwer hatten die Brecher der groben See ihn mitgenommen. Doch Lornsen griff selber tatkräftig zu, feuerte den Schiffsarzt und seine Sanitäter zu immer neuen Bemühungen an und ließ nicht nach, bis nach Stunden wieder Leben in die erstarrten Glieder zurückkehrte, das Rettungswerk gelungen und der Geborgene außer Gefahr war.
Ein langer, tiefer Schlaf, ein wohltätiger Schweißausbruch, dann war die Krisis überwunden. Und dann saß der Kapitän lange neben der Koje des Geretteten und hörte, was dieser erzählte. Allmählich nur begriff er, daß es keine reine Ausgeburt einer wilden Fieberphantasie gewesen war, was der junge Mensch da zuallererst unter den Händen seiner Retter gestöhnt und gestammelt hatte, sondern grausige Wirklichkeit.
Dann flogen aus der Antenne der »Saravia« Depeschen durch den Äther. Die eine war für Norddeich bestimmt, eine Meldung, daß auch die Hülle des »Greif« geborgen sei. Von einer Rettung Überlebender stand nichts darin. Die zweite Depesche war für Paris bestimmt. Ihre Adresse lautete: Doktor Gransfeld, zurzeit Waldorf-Astoria-Hotel.
*
Die Funkdepesche von der »Saravia« veranlaßte Gransfeld zur sofortigen Abreise. Mit dem Nachtzug verließ er Paris und erreichte bei anbrechender Morgendämmerung Cherbourg. Unmittelbar nach der Ankunft begab er sich zum Hafen. Hier war das dröhnende Leben des Werktages noch nicht erwacht. Verlassen und menschenleer dehnten sich die weiten Kaianlagen im bleigrauen Morgenlicht. Ein leichter Nebel lag über dem Wasser und behinderte die Fernsicht. Er blieb einen Augenblick stehen und blickte sich suchend um, als das Aufheulen einer Dampfpfeife ihm den weiteren Weg wies. Noch eine Strecke von wenigen hundert Metern, und er gelangte an einen Zollschuppen. Unmittelbar davor hatte der Tender festgemacht, auf dem sich schon ein halbes Hundert Personen befanden.
Fragend wandte er sich an einen Matrosen, der am Pier stand. »L’aviso pour la »Saravia«?«
»Oui, Monsieur, pour la »Saravia« et pour la »Moravia«.«
Über den Laufsteg ging er an Bord und machte es sich auf dem Vorderdeck bequem. Es war noch reichlich Zeit bis zum Abgang des Tenders, und während eine Viertelstunde nach der andern verstrich, kamen immer noch mehr Leute auf das Schiff. Endlich heulte die Pfeife zum dritten Male, das Boot machte los und dampfte durch den Hafen hinaus auf die offene Reede. Fast eine Stunde währte die Fahrt, dann setzten die Maschinen aus. In der wogenden Dünung auf und ab schaukelnd, blieb der Tender auf einer Stelle liegen. Leicht fröstelnd zog sich Gransfeld den Mantel dichter um die Schultern. »Reichlich viel Zeit lassen sich die Leute hier«, murmelte er vor sich hin und zündete sich eine neue Zigarette an.
Wieder und wieder schrie die Dampfpfeife des Tenders in immer kürzeren Pausen heiser und grell auf. Und dann klang’s plötzlich wie ein gewaltiges dunkles Echo aus der nebligen Ferne. Von irgendwoher antwortete die mächtige Sirene eines großen Seedampfers im tiefen Baß auf das heisere Kläffen der Tenderpfeife. Mit Ruf und Gegenruf ging das Spiel hin und her, während die Maschine wieder zu arbeiten begann. Aus nächster Nähe brüllte jetzt der Riesenbaß, und dann tauchten ganz plötzlich die gewaltigen Formen eines Ozeanriesen aus dem Nebel auf.
Der Tender kam längsseits an die »Saravia« heran. Leinen wurden geworfen und schwere Taue daran nachgezogen. Wie durch Zauberhand öffnete sich eine breite Pforte am Riesenleib der »Saravia« in Deckhöhe des kleinen Tenders, und eine Laufbrücke wurde von Schiff zu Schiff geschoben. Unter den ersten, die die »Saravia« betraten, war Gransfeld.
Eine Gestalt sprang ihm entgegen. »Herr Doktor!«
»Rudi! Mein lieber Junge!«
Im nächsten Augenblick warf dieser die Arme um ihn, und herzhaft erwiderte Gransfeld die Umarmung.
Er wollte sprechen, wollte fragen, doch Rudi ließ ihn nicht zu Worte kommen. »Schnell zum Kapitän, Herr Doktor! Es ist viel geschehen! Oh, wenn Sie das alles wüßten! Sie werden sich nicht schlecht wundern.«
Während Gransfeld ihm folgte, hörte er mit Fragen nicht auf. »Was ist, Junge? Was ist geschehen? Sprich doch!«
Rudi verhielt den Schritt. »Herr
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