Modesty Blaise 05: Die Goldfalle
deutlich gesehen, ohne zu merken, daß sie das Paar waren, das er suchte. Das war ihm erst nach der Rückkehr in das Penthouse klargeworden, als er die blonde Perücke auf dem Tisch und Modesty in glänzendem Lederanzug gesehen hatte.
Sie hatte sich jetzt umgezogen. Sie saß auf der Couch und trug ein chinesisches Hauskleid, das mit seinen glühenden Farben ihre dunkle Schönheit zur Geltung kommen ließ und die leicht asiatische Wirkung ihres schwarzen Haars und ihrer hohen Backenknochen noch unterstrich. Die Arme in den weiten Ärmeln verborgen, auf denen sich goldene Drachen auf einem karminroten Grund ringelten, saß sie da und schaute geistesabwesend auf einen der prächtigen Isfahan-Teppiche, die da und dort auf den Bodenfliesen lagen. Ihr Haar, das sie normalerweise in einem Chignon trug, hing in zwei locker geflochtenen Zöpfen herab.
Willie Garvin blieb stehen und schaute sie einen Augenblick lang an, mit unverhohlener Freude über den Anblick, den sie bot, und sagte dann: «Prinzessin.»
Sie blickte auf, lächelte und nahm den Stoß Fotografien, den er ihr reichte. Ruhig betrachtete sie eine nach der andern und gab sie an Fraser weiter, der sie mürrisch musterte und auf der Couch neben ihr ausbreitete. «Diese blöden Bilder verraten uns nichts, was wir nicht schon wissen», sagte Fraser. «Ich kann nicht einmal das Fernsehauge unter dem Vordach erkennen, obwohl ich weiß, daß es da ist. Wer immer gesagt hat, Aufklärungsarbeit sei nie unnütz, der hat Welbury Square 28 nicht gekannt.»
«Warum gehen Sie nicht nach Hause?» fragte Willie liebenswürdig.
«Weil ich den Cognac mag, der hier serviert wird. Er hilft mir, nicht mehr darüber nachzudenken, was ich tun werde, wenn Tarrant zurückkommt und erfährt, daß ich Sie in diese Sache eingeweiht habe und daß Sie beide mausetot sind, weil Sie irgendwas Idiotisches angestellt haben.»
«Das werden wir nicht tun», sagte Modesty nachdenklich. Sie zeigte auf die Fotos. «Ich habe nicht erwartet, einen schwachen Punkt zu finden. Es handelt sich darum, ein Gefühl für die Sache zu bekommen. Die Arbeit heute nacht war nicht umsonst.»
«Und jetzt, wo Sie das Gefühl haben, wie geht’s weiter?»
Fraser ließ einen weiteren großen Schluck Cognac seine Kehle vergolden und sah sie erbost an.
«Wir denken», sagte sie. «Wie wär’s mit einer kleinen Bestandsaufnahme, Willie?»
Die nächsten zehn Minuten ging Willie Garvin in dem Raum auf und ab und sprach mit halbgeschlossenen Augen. Er sprach langsam, aber fast ohne zu stocken und erwähnte jede Möglichkeit, vom Unwahrscheinlichen bis zum Phantastischen. Er sprach von Alarmanlagen und Elektronik, von Tresorknacken, von Stethoskop-Techniken und von thermischen Lanzen.
Er sprach von Zeit-und-Arbeit-Gleichungen. Er zählte alle Zugangswege auf, von vorn, von hinten, vom Dach, vom Keller aus. Er sprach von Kanalisationsrohren und Kabeln, von Verkleidung und Irreführung. Als er geendet hatte, setzte er sich, steckte sich eine Zigarette an und sagte: «Aus welchem Gesichtswinkel man es auch betrachtet, es sind zu viele Wenn und Aber, zu viele Stellen, an denen Fallstricke verborgen sein könnten.»
Modesty nickte. Sie schien keineswegs enttäuscht.
«Schön, Willie. Damit hätten wir erst mal reine Luft geschaffen. Es zahlt sich immer aus, die alten Hüte aus dem Weg zu räumen, bevor man an neue zu denken anfängt. Wir müssen vermeiden, diese Aufgabe allzu raffiniert anzugehen, Willie, Liebling. Wir dürfen es uns nicht zu kompliziert machen. Laß uns das im Auge behalten und die Sache überschlafen.»
Fraser erhob sich. «Es ist kompliziert, weil es darauf angelegt ist, kompliziert zu sein, und es steht nicht in Ihrer Macht, das zu ändern.» Er nahm seinen Mantel.
«Auf jeden Fall war es interessant; und schönen Dank, daß Sie es versucht haben.» Modesty lächelte. «Wir haben eben erst angefangen, es zu versuchen, Jack.»
Sie begleitete ihn zu den Türen ihres privaten Aufzugs im Foyer des großen Penthouse. «Ich weiß, es bleibt uns nicht viel Zeit, aber falls uns irgendwas einfällt, rufe ich Sie sofort an.»
Er sah sie düster an. «Sie sind ein nettes Mädchen, Herzchen. Ich wollte, Sie wären keine so verdammte Närrin. Wahrscheinlich werde ich auswandern müssen.» Mit einiger Anstrengung gelang es ihm, die Härte aus seinem Gesicht, die Spannung aus seinen Augen verschwinden zu lassen und in die gewohnte Rolle des subalternen, unterwürfigen Beamten zu schlüpfen.
Schüchtern
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