Modesty Blaise 05: Die Goldfalle
Feind. Es wurde immer schwieriger, das nicht zu vergessen. Aber sie durfte nicht mit ihm streiten. Darauf hatte Brunel größten Wert gelegt. Sie sagte: «Das sind doch bloß Worte, Willie. Was er ist, spielt für mich überhaupt keine Rolle.»
«Brich mit ihm, Lisa. Tu es jetzt. Wir werden uns etwas ausdenken.»
«Bitte dräng mich nicht, Willie.» Etwas wie Panik war in ihrer Stimme. «Ich reise morgen ab. Ich kann nicht mit ihm brechen. Vielleicht will ich es auch gar nicht. Es gibt so viel, was du noch nicht weißt.»
«Dann erzähl es mir doch.»
Sehr langsam, mit müder, gequälter Stimme, sagte sie: «Ich kann es dir nicht sagen, weil es sich nicht in Worte fassen läßt. Es ist in meinem Kopf, Willie, alles in meinem Kopf.» Das kam der Wahrheit schon gefährlich nahe, weiter wagte sie nicht zu gehen.
Mehrere Minuten lagen sie schweigend nebeneinander. Sie wußte, daß er ihr nicht böse war, denn er ließ seine Hand auf ihrer Schulter, während sie so dalagen, und drückte sie sanft und beruhigend. Schließlich sagte er: «Ich will dich nicht mehr weiter bedrängen, Liebes. Es ist dein Leben.»
Sie atmete dankbar und erleichtert auf. Es war überstanden, nur die letzten Worte mußte sie noch sagen, die wichtigen Worte, und die durfte sie jetzt noch nicht sagen. Die durften erst ganz am Ende gesagt werden, wenn es für Fragen zu spät sein würde.
«Um welche Zeit fährst du, Lisa?» fragte er.
«Um sieben Uhr morgens.»
«Gut. Ich bringe dich zum Flughafen.»
«Nein. Willie. Ich werde von einem Mietwagen abgeholt. Ich mag keine Abschiede auf Flughäfen. Ich möchte nicht einmal, daß du meinetwegen aufstehst. Ich werde mich einfach jetzt verabschieden, und wenn es Zeit ist, stehe ich auf und gehe.»
«Geld?»
«Ich habe wirklich genug. Und in Heathrow wartet mein Gepäck.»
«Es lohnt sich kaum, noch einmal einzuschlafen. Soll ich dir eine Tasse Tee oder Kaffee machen?»
«Nein. Ich möchte, daß du bei mir bleibst. Sag mir jetzt auf Wiedersehen, dann brauchen wir uns später nichts mehr zu sagen.»
«Also schön … Auf Wiedersehen, Lisa. Und alles Gute. Es war schön, dich hierzuhaben.»
«Es war schön, hierzusein. Möchtest du mich jetzt noch einmal haben, Willie?»
«Nur, wenn du es willst.»
«Ja. Wir haben noch viel Zeit. Ich möchte, daß du mich jetzt liebst, lange, auf eine großartige Weise.»
Er wandte sich ihr zu, schaute auf sie hinab, und begann zärtlich ihr Gesicht zu streicheln, ihren Hals und dann ihren Körper. Er nahm sich Zeit und sprach manchmal leise zu ihr, sagte ihr, daß sie schön und reizvoll sei, meinte es ehrlich, fand die Stellen an ihrem Körper, an denen sein Streicheln ihr den tiefsten Genuß verschaffte.
Sie wußte, daß noch viel Zeit war, viel Zeit, um das Feuer in ihrem Innern stärker werden zu lassen, so stark, daß sie schließlich fordernd mit ihm rang. Die Erwartung all dessen, was kommen würde, was sie miteinander tun würden, war so überwältigend, daß sie es kaum zu ertragen vermochte. Sie ließ sich treiben und wurde sie selbst, als wäre eine Marionette durch einen Zauber für wenige Stunden zu eigenem Leben erwacht. Die Stimmen waren bald vergessen. Brunel war vergessen. Sie ließ die Welt von sich abfallen. Es war halb sieben, als Willie ihr sanft die Wange tätschelte, um sie zu wecken. «Es wird Zeit, daß du aufstehst, Liebes. Der Wagen kommt um sieben, hast du gesagt.»
Ein paar Augenblicke lang versuchte sie, sich an die wundervolle Unwirklichkeit zu klammern, in der sie vor einer halben Stunde eingeschlafen war, aber dann erschrak sie über ihre Treulosigkeit und Bosheit. Sie betete darum, daß die Stimmen nie erfahren möchten, wie sehr sie sie eine Zeitlang vergessen hatte, um ihren eigenen Wünschen zu leben. Es war finstere Blasphemie.
«Also dann», sagte sie. «Bleib liegen, Willie.» Sie stand auf, schlüpfte in einen Morgenrock, den er ihr geliehen hatte, und ging ins Badezimmer, um sich zu duschen. Während sie sich abtrocknete, anzog und ihr Make-up auflegte, versuchte sie an nichts zu denken und sich nur auf das zu konzentrieren, was sie jeweils tat. Sie hatte nichts zu packen. Sie hatte nur eine Handtasche und ein paar Toilettenartikel, die Willie ihr gekauft hatte. Fünf vor sieben war sie fertig. Aus dem Badezimmerfenster konnte sie durch das halbgeöffnete Fenster die Zufahrt zu
The Treadmill
sehen. Sie wartete zwei oder drei Minuten, bis sie den Wagen vorfahren sah, und ging dann ins Schlafzimmer
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