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Modesty Blaise 05: Die Goldfalle

Modesty Blaise 05: Die Goldfalle

Titel: Modesty Blaise 05: Die Goldfalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter O'Donnell
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die sie von Kindheit auf gelernt hatte. Das war eine Situation, in der die natürliche Regung der Angst am schwersten zu unterdrücken war – wenn Nachdenken zu keinem Ergebnis führte und man keinen Schritt im voraus planen konnte. Es gab keine Grundlage für einen Plan. Vielleicht ergab sich eine Chance, wenn sie gelandet waren, oder auch schon vorher, wahrscheinlich aber erst später. Sie konnte nur die Augen offenhalten und in Bereitschaft bleiben, um die erste Gelegenheit beim Schopf zu packen, genau wie Willie es tun würde.
    Sie sah wieder Willie an. Er saß links von ihr und ein Stückchen weiter vorn. Scheinbar hatte er sich überhaupt nicht bewegt, aber sie stellte fest, daß die Schnalle auf seinem Rücken wieder um ein paar Zentimeter höher gerutscht war. Sie war jetzt über der Stuhllehne, und die konnte er dazu verwenden, sie noch höher zu schieben. Sie sah, wie das Segeltuch der Ärmel und Schultern sich ganz langsam straffte, bis sie beinahe zu hören meinte, wie der Stoff unter der Belastung ächzte. Er wollte sich noch ein klein wenig mehr Spielraum verschaffen, bevor er sich wieder seiner unendlich langwierigen Aufgabe zuwandte. Vielleicht war es zwecklos, weil er für den letzten Schritt, das Abstreifen der Jacke, mindestens ein paar Sekunden brauchen würde, und dabei würden seine Wächter nicht untätig zuschauen. Aber vielleicht bot sich doch irgendwann eine Chance, und auf diesen Augenblick bereitete er sich vor. Dankbarkeit durchströmte sie plötzlich. Sie war nicht allein. Sie hatte noch Willie Garvin, und er würde nicht aufgeben. Er konnte nicht viel tun, aber hatte sich geduldig an die Arbeit gemacht. Sie dachte an längst vergangene Jahre und mußte sich eingestehen, daß das eine Eigenschaft war, die sie ihm selbst beigebracht hatte, in jenen Tagen, als sie ihn aufgelesen und durch eine Art Alchimie, die sie selbst nie durchschaut hatte, aus dem gemeingefährlichen Verbrecher zu einem freundlichen, unübertrefflichen Gefährten gemacht hatte, der seinerseits ihr ganzes Leben veränderte.
    Der Trost, den seine Zähigkeit ihr in all dieser Zeit verschafft hatte, war nicht mit Gold zu bezahlen. Mit seiner Kraft und Geschicklichkeit war Willie so viel wert wie eine ganze Kompanie. Und er würde nicht aufgeben. Selbst wenn ihm schon ein Revolver mit gespanntem Hahn an die Schläfe gehalten würde, würde er noch kämpfen und auf einen Ausweg sinnen.
    Er hatte seit den ersten Worten, als sie zu sich gekommen war, nicht mehr mit ihr gesprochen. Das war vernünftig. Er verstand wahrscheinlich die Taktik des Schweigens, auf die Brunel und Genossen sich verlegt hatten, genausowenig wie sie, aber er hatte begriffen, daß es ein Akt der Schwäche gewesen wäre, die unterwürfige Anerkennung ihrer Überlegenheit, wenn er jetzt Fragen gestellt oder auch nur mit ihr gesprochen hätte. Willie hatte beschlossen, ihr Spiel zu spielen, es sei denn, sie würden ihn auf einen anderen Gedanken bringen.
    Neben ihr hob Giles Pennyfeather den Kopf und murmelte: «Mein Gott, ist mir schlecht …»
    Sie sagte zu ihm dasselbe, was Willie zu ihr gesagt hatte: «Ruhig bleiben, Giles.»
    «Wie? Mensch, wir sind ja in der Luft!» Er schüttelte den Kopf, blinzelte, versuchte seine Arme zu bewegen, starrte verständnislos auf seine Zwangsjacke und sah dann Brunel und das Albino-Mädchen vor sich sitzen.
    Das Mädchen schaute aus dem Fenster. Brunel blätterte, ohne aufzuschauen, eine Seite in seinem Buch um.
    Pennyfeather drehte den Kopf zur Seite und starrte Modesty an. Seine Haare standen ihm zu Berge, und seine Augen waren rund und groß in seinem bleichen, mageren Gesicht. «Was ist denn passiert?» fragte er heiser. «Ich habe Kaffee getrunken und …» Er reckte den Hals. «Wo ist denn Madame Nowikow?»
    «Es war nicht Madame Nowikow. Wir haben einen kleinen Fehler gemacht, Giles. Und jetzt hör auf zu reden.»
    «Nicht
reden?
» Er zappelte wütend herum, zerrte an den Gurten, die ihn festhielten, und gab dann keuchend auf.
    «Warum denn nicht, zum Teufel?»
    «Weil es nichts zu reden gibt und du die anderen Passagiere stören würdest. Ich werde ein bißchen schlafen. Und du solltest das auch tun.»
    «Also hör mal …!»
    «Nein, Giles.» Sie schloß die Augen.
    Pennyfeather starrte sie fassungslos an, und in seinem Kopf jagte eine nur halb zu Ende gedachte Frage die andere. Er verdrehte den Kopf und musterte alle, die er sehen konnte, mit der schwachen Hoffnung, eine Erklärung für ihr sonderbares

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