Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten
schweren Stahltür und zog. Während sie aufging, fällte Willie Garvin den Mann mit einem Handkantenschlag – wie mit einem Spaten.
«Da hat etwas Zorn mitgespielt», sagte Modesty von der Tür her. Sie kam zu ihm, stellte den Rucksack ab, drehte Leybourn auf den Rücken und schob ihm eine mit einem Betäubungsmittel getränkte Watte in die Nasenlöcher.
Willie sagte sachlich: «Ein wirklich steifes Genick wird seine Gedanken ein paar Wochen von Peitschen und Zigaretten ablenken.»
Der Safe hatte zwei Abteilungen. In einer lag in Fünf-, Zehn- und Zwanzig-Dollar-Noten gebündeltes Papiergeld.
«Genau wie wir es uns vorgestellt hatten», sagte Modesty und begann jedes Bündel zu zählen, bevor sie es in ihrem Rucksack verschwinden ließ. «Doch jetzt, wo wir seine Frau kennengelernt haben, werden wir den Preis etwas erhöhen. Sagen wir 30000 Dollar. Damit bleibt ihm immer noch die Hälfte des Safeinhalts.»
Willie montierte den stethostrobischen Pulsdetektor ab, legte ihn zusammen und schob ihn in den Rucksack. Er war nichts anderes als eine willkürliche Anordnung von sinnlosen Zifferblättern und Schaltern, ohne irgendwelche Teile im Innern des Gehäuses. Aber seinen Zweck, den Safe zu öffnen, hatte er erfüllt. Es war Modestys Idee gewesen, und Willie hatte sie großartig gefunden. Jetzt war er niedergeschlagen, daß die Umstände den Spaß an ihrem Unternehmen verdorben hatten. Mit einem innerlichen Seufzer ging er durch das Eßzimmer, um das tragbare Telefon abzukabeln und die Vermittlungsstelle wieder einzuschalten.
Modesty packte die letzten Banknoten ein und ging hinauf, um die Fensterscheibe wieder einzusetzen und das Sicherheitsschloß zu versperren. Wenn sie mit allem fertig waren, würden sie noch einen letzten Kontrollgang machen, um alle Spuren zu verwischen und dann mit Hilfe von Leybourns Schlüssel das Haus durch den Haupteingang zu verlassen. Wenn Leybourn aufwachte, würde er in der Garage am Steuer seines Wagens sitzen, die Schlüssel wie gewohnt in der Tasche, und er würde sich fragen, ob er an mit Alpträumen kombinierten Halluzinationen litt. Die Mißverständnisse und Verwirrungen, die sich ergeben würden, wenn er schließlich die Polizei verständigte, konnten gigantische Ausmaße annehmen.
Als Willie in den ersten Stock kam, hatte Modesty das Einsetzen der Scheibe beinahe beendet. Er sah sie etwas verlegen an und fragte beiläufig: «Und das Funkrelais, das ich in den Schrank einbaute, Prinzessin? Soll ich es herausnehmen oder an Ort und Stelle lassen? Ich nehme an, es könnte jahrelang dort bleiben, ohne daß jemand etwas merkt.»
Ohne von ihrer Arbeit aufzublicken, sagte sie sanft:
«Schau, wenn dieses Mädchen sich umbringt, so werden wir deshalb nicht hierher zurückkommen und Leybourn aufhängen oder etwas Ähnliches. Sie tut mir auch leid, Liebling. Aber wir sind nicht Robin Hood.»
«Nein.» Er rieb sein Kinn. «Okay. Ich nehme es heraus. Dauert keine fünf Minuten.»
Modesty war damit beschäftigt, die dünne Bleieinfassung wieder einzupassen. Sie machte das Fenster zu und verschloß es. Gemeinsam gingen sie den Gang entlang und die Treppe hinunter. Sie hatten eben die Halle erreicht, als sie aus dem Arbeitszimmer ein leises Geräusch hörten, einen seltsamen dumpfen Aufschlag. Sie erstarrten. Noch ein Geräusch, das Kratzen eines Stuhlbeins auf dem Parkettboden des Arbeitszimmers.
Sie zogen die Masken über das Gesicht und gingen auf die Tür zu. Ein Nicken Modestys, Willie stieß die Tür auf, und sie betraten rasch den Raum. Nach drei Schritten blieben sie wie angewurzelt stehen. Soo Leybourn saß auf einem an der Wand stehenden Stuhl mit gerader Lehne, die Hände auf dem Schoß. Sie trug den rot-goldenen Morgenrock. Ihre Füße waren nackt. Das glatte, schöne Gesicht war bar jeder Emotion. Die dunklen Augen starrten ins Leere.
Leybourn lag vor dem noch offenen Safe auf dem Rücken, wie sie ihn verlassen hatten. Nur mit einem Unterschied: der orientalische Dolch aus Soo Leybourns Schlafzimmer stak tief in seiner Brust. Man sah beinahe kein Blut, bloß einen unregelmäßigen Fleck auf seinem weißen Hemd rund um den Schaft des Dolchs. Die Klinge hatte sein Herz getroffen; er mußte sofort tot gewesen sein.
Willie Garvin riß sich von dem toten Mann los und wandte seinen Blick dem reglos dasitzenden Mädchen zu. Sie war Tausende Meilen weit fort und merkte seine Anwesenheit gar nicht.
«Mein Gott», sagte er leise, «heute abend muß aber auch alles mögliche
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