Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten

Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten

Titel: Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter O'Donnell
Vom Netzwerk:
Alle Wahrheiten waren abgedroschen – einfach, weil es sie seit eh und je gab.
    «Grausamkeiten», sagte sie. «Der Mensch, dem nur dann wohl ist, wenn er seinen Fuß auf jemandes Nacken stellen kann. Der Mensch, der sich wie ein Gott fühlt, wenn er ein Gewehr hält. Der seine Existenz nur unter Beweis stellen kann, indem er den anderen das Mark aus den Knochen preßt. Grausamkeit kommt in allen Varianten vor, und in kleinen Mengen findet man sie überall. Aber wenn man der
echten
Grausamkeit begegnet, sozusagen dem Jumbo-Paket …» Sie zuckte die Achseln, sah ihn an, betrachtete seinen feucht gewordenen Priesterkragen. «Dann fängt man an zu glauben, daß ein Gebot fehlt. Eines, das wichtiger sein mag als Stehlen oder Töten oder seines Nachbarn Vieh begehren.»
    Sie schwieg und ärgerte sich wieder über sich selbst.
    Es war nicht ihre Art, mit Fremden ihre Überlegungen zu teilen, besonders nicht über dieses Thema.
    Jimson starrte sie verwundert an. Er schüttelte hilflos den Kopf, seufzte, und dann verschwand die Intensität ganz plötzlich aus seinen Zügen und er lächelte sie mit einem gewinnenden Charme an, der sie überraschte.
    «Mein Gott», sagte er, «ich glaube, unsere Verständigung klappt ganz und gar nicht.»
    Ihre Antwort war von einem Lächeln begleitet, das zu einem Waffenstillstand aufforderte. «Sie versuchten eine Verständigung, Mr. Jimson. Wir sollten aufhören, unsere Zeit zu vergeuden.»
    «Vielleicht.» Er setzte sich zurück und entspannte sich. Nach einer Weile fragte er: «Ich nehme an, Sie haben nichts über das Testspiel gehört?»
    «Testspiel?»
    «Ich meine das Testmatch gegen Australien. Die letzten Spiele begannen Donnerstag im Oval.»
    «Ach, Kricket!» Wieder überraschte er sie. Sie suchte sich zu erinnern. «Bei Spielschluß hatte England gestern 297 Läufe bei sechs Wechseln.»
    «Sind Sie ein Kricket-Fan?» fragte er erfreut.
    «Nur für Amateur-Kricket. Aber Willie Garvin liebt die großen Spiele. Gestern abend hörte er im Autoradio die englischen Nachrichten. Ich nehme an, auch Sie gehören zu den Kricket-Anhängern?»
    «Ich muß gestehen, daß es meine große Leidenschaft ist», sagte Jimson verlegen. «Ich schäme mich ein wenig. Fanatiker sind zumeist schrecklich langweilig, ganz gleich, wovon sie besessen sind, meinen Sie nicht auch?»
    «Ich habe gelegentlich unter ihnen gelitten», erwiderte Modesty ernst. «Spielen Sie selbst Kricket, Mr. Jimson?»
    «Ich spielte regelmäßig, als ich noch in Cambridge war.» Seine Stimme klang sehnsüchtig.
    «Gehörten Sie zur Schläger- oder zur Ballpartei?»
    «Ach, mal so, mal so. Ich war ein recht guter Werfer.» Er lächelte schüchtern. Dann zog er, als hätte er Angst, sie zu langweilen, eine abgegriffene Bibel aus der Tasche, lehnte sich zurück und begann zu lesen.
    Sie blickte aus dem Fenster. Sie fuhren ein breites Tal entlang. Auf beiden Seiten lösten sich mit Gestrüpp bedeckte Felsen ab, die immer höher wurden. Der Talboden war von schmalen, gewundenen Rinnen durchzogen, die Tausende kleine Bächlein während der Regenzeit gegraben hatten.
    Die Straße begann zu steigen und machte eine scharfe Kehre. Der Fahrer schaltete zurück und verlangsamte das Tempo, um die Kurve zu nehmen. Modesty sah die Windschutzscheibe zersplittern und die Glasstücke hinausfliegen, bevor sie den Knall der Schüsse registrierte. Während ihr Geist analysierte, was geschah, lief sie bereits durch den Mittelgang nach vorn. Eine sehr kurze Salve – vier Schüsse aus einem automatischen Gewehr – war von der Seite und von hinten abgefeuert worden. Zumindest ein Schuß hatte den Fahrer getroffen. Er sank zur Seite.
    Der Motor starb ab. Der Bus befand sich in der Mitte der Kurve. Einen Augenblick stand er still, dann begann er langsam nach rückwärts zu rollen. Zwei Mädchen standen schreiend im Mittelgang und verstellten Modesty den Weg. Sie schob sie zur Seite und griff nach der Handbremse, doch noch bevor sie zufaßte, hörte sie das Kratzen von Metall, als das Hinterteil des Busses von der Straße abkam und gegen eine Bodenerhebung am äußeren Kurvenrand prallte. Der Bus blieb mit einem sanften Ruck stehen.
    Durch das Geschrei der Mädchen konnte sie Jimson hören, der in einem keineswegs perfekten Spanisch die Kinder zu beruhigen suchte. Der Fahrer lag zusammengekrümmt zu ihren Füßen. Aus einem Loch im Rücken seines Hemds quoll Blut und vermischte sich mit einem dunklen Schweißfleck. Verdächtig wenig Blut.
    Sie drehte

Weitere Kostenlose Bücher