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Modesty Blaise 07: Die silberne Lady

Modesty Blaise 07: Die silberne Lady

Titel: Modesty Blaise 07: Die silberne Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter O'Donnell
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zurückzuhalten, in das sie fortwährend auszubrechen drohte. Die strenge presbyterianische Erziehung ihrer Kindheit im schottischen Hochland war eine allzu schwache Barriere gegen ihren Mangel an Ehrfurcht, als der Vikar andachtsvoll das letzte Lied anstimmte.
    An der Orgel wandte ihr Willie Garvin den Kopf zu und hob die Augen zum Himmel. Sein braunes, wettergegerbtes Gesicht tauchte aus einem weißen Chorhemd, sein dichtes, helles Haar war geölt, um es weniger widerspenstig als gewöhnlich zu machen. Mit ernster Würde begann er, die Einleitungsakte eines Kirchenliedes zu spielen.
    Das war jetzt das vierte Mal, daß er während des Frühgottesdienstes dieselbe Melodie gespielt hatte. Lady Janets Brust schmerzte und in ihren Augen standen Tränen. Sie neigte den Kopf mit dem kurzen rotbraunen Haar tief über das Liederbuch und bewegte schwach die Lippen, wagte aber nicht, zu singen.
    Im Geist sah sie noch den Ausdruck auf Willies Gesicht, vor zwei Tagen in seinem Pub, der Treadmill, als sie ihn gebeten hatte, ihr zu helfen.
    «
Ich
? Ach, Janet, gib’s auf. Du machst einen Witz.»
    «Nein, Willie. Der Organist ist krank, und sie haben jemanden für den Abendgottesdienst, aber Mr. Peake kann niemanden finden, der beim Frühgottesdienst spielt, also habe ich ihm gesagt, ich sei sicher, du würdest es tun. Er ist wirklich sehr nett, der Vikar, und mit so einer winzigen Gemeinde wird es ohne Musik einfach zum Weinen sein. Ich wollte ihm nicht absagen, als er mich gefragt hat, ob ich jemanden auftreiben könnte.»
    «Warum fragt er dich? Du bist nicht gerade eine Stütze seiner Gemeinde.»
    «Nein, aber ich bin für ihn noch am ehesten die ‹Dame vom Schloß›, und ich wußte, daß du spielen kannst.»
    «Spielen? Das war im Waisenhaus, Jan. Ich habe nie Noten gelernt, ich habe nur gelernt, welche Tasten man für ein Kirchenlied drücken muß. Für ein einziges.»
    «Ich weiß, aber du hast mir gesagt, es sei eine Melodie, zu der man verschiedene Kirchenlieder singen kann. Welche ist es?»
    «St. Flavian. Aber …»
    «Wie geht es, Willie?»
    «Oh, verflucht. Di-di-da-di-da …
Mit müden Füßen und traurigem Herzen fliehen wir vor Müh und Schmerzen
    …»
    «Gerade richtig für Mr. Peakes Gemeinde. Ich habe ihm gesagt, daß er vier Kirchenlieder finden muß, die zu der Melodie passen, die du spielst.»
    Willie sah die Tochter des Earls ungläubig an. «Du verrückte schottische Krabbe!»
    «Spricht man so mit seiner Geliebten?»
    «Seit ich siebzehn war, habe ich keine Kirche mehr betreten», sagte Willie. «Und damals kam ich nur, um das Blei vom Dach zu stehlen.»
    «Du mußt ein gräßlicher Junge gewesen sein.»
    «War ich, Jan. Einfach schrecklich. Und man hat mich erwischt, also war ich noch dazu dumm.»
    «Na, jetzt hast du eine Chance, es wiedergutzumachen. Und denke daran, was für eine schöne Geschichte du Ihrer Hoheit erzählen kannst.» So nannte Lady Janet Modesty Blaise gewöhnlich. Früher war ein feindseliger Unterton dabei gewesen, aber jetzt nicht mehr. Es war ihr klargeworden, daß das seltsame dunkelhaarige Mädchen nichts tat, um Willie Garvin an sich zu binden. An der Tatsache, daß ein Teil von ihm immer ihr gehören würde, konnten sie beide nichts ändern, denn das ging von den Jahren der Vergangenheit aus, von der Zeit, als Willie für Modesty gearbeitet hatte und durch sie ein anderer Mensch geworden war, als die geteilte Gefahr ein Band zwischen ihnen hergestellt hatte, das aus tausend Stahlfäden gewoben war.
    Lady Janet hatte sich damit abgefunden. Sie wußte, daß sie einen Teil Willies besaß, der Modesty nie gehören würde. Es lag nicht so sehr daran, daß er und Modesty sich die letzte körperliche Vereinigung versagten, sondern sie hatten das niemals als möglichen Teil ihrer Beziehung betrachtet. Das Muster war von Anfang an festgelegt worden und würde sich jetzt nicht mehr ändern.
    Lady Janet wußte nicht, ob es ihre Bemerkung über die gute Geschichte für Ihre Hoheit war, die Willie bewogen hatte, die Orgel zu spielen. Wenn ja, kümmerte es sie nicht. Es genügte, daß er zugesagt hatte.
    Das Kirchenlied war beendet. Willie spielte das Amen, lehnte sich mit einem frommen, selbstzufriedenen Gesichtsausdruck zurück und faltete die Hände. Als der Schlußsegen gegeben worden war und die Gemeinde begann, sich zwischen den Kirchenbänken langsam zur Tür zu schieben, spielte er dieselbe Melodie noch einmal. Einige der Kirchenbesucher schauten ein wenig verwundert

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