Modesty Blaise 11: Die Lady spannt den Bogen
angeschwollene Gesicht von Willie Garvin dahinter. Bernie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und arbeitete sich auf den Sitz des Wagens hinauf.
Willie Garvin, der sehr vorsichtig fuhr, bremste vor einer Straßenecke leicht ab und sah dann zu ihm hinüber. »Bist du in Ordnung, Bernie?« fragte er.
»Hmm … ja. In Ordnung.« Bernie hielt seinen schmerzenden Kopf mit beiden Händen fest. »Was … was ist passiert?«
»Sie hatten jemanden draußen im Garten, der da rumgestrichen ist. Der hat dir eins übergezogen. Dürfte eine Stahlrute dabei gehabt haben.«
»Ach du mein Schreck, jetzt erinnere ich mich wieder. Ich hab nur dieses helle Licht gesehen.« Bernie kniff die Augen zusammen, um wieder klar zu sehen, und starrte aus dem Fenster. Anscheinend fuhren sie durch einen der inneren Vororte von London, und Willie lenkte einen alten Ford Zephyr. Er hielt sich strikt an die Geschwindigkeitsbegrenzung. »Und wie sind wir hierhergekommen?«
»Mann, was glaubst du denn? Ich bin gerade im rechten Moment aus dem Haus raus. Hab dem Typ in die Eier getreten, dich untern Arm geklemmt und bin zu einem Seitentor raus.« Willie hielt sich mit einer Hand die Seite. »Nicht gerade ein Vergnügen, dich mit meinen kaputten Rippen in der Gegend rumzuschleppen. Hab mir wohl einen Muskel gezerrt. Zum Glück stand diese Karre hier fünfzig Meter weiter an der Ecke geparkt, unverschlossen. Hab dich reingeschmissen, die Zündung kurzgeschlossen und bin weg von da.«
Eine heftige Gefühlswelle überschwemmte Bernie Chan. Tränen der Dankbarkeit strömten ihm über das Gesicht. Trotz allem hatte ihn Willie Garvin vor ernstlichen Verletzungen und wahrscheinlich sogar vor dem Tod gerettet. Es war ein Wunder. Und Willie Garvin war der wundervollste Mensch auf der ganzen Welt. Als er die Sprache wiedergefunden hatte, sagte er stockend: »Du bist ein Goldstück, Willie. Oh mein Gott, du bist ein richtiger Erzengel, ehrlich. Das werd ich dir nie vergessen. Jeder andere hätte mich da alleine zurückgelassen, aber du hast mich rausgeholt. Du bist ein Goldstück, Willie, ein wahrer Christ. Beim Grabe meiner Mutter …«
»Ist schon gut, Bernie«, unterbrach ihn Willie, wobei er etwas zusammenzuckte und sich eine Hand gegen die Rippen preßte. »Aber ich würde sagen, wir müssen jetzt beide für eine Weile untertauchen. Wir wissen ja nicht, wer uns da gekidnappt hat, und sie könnten es noch einmal probieren.«
»Ja, da hast du recht.« Bernie warf ihm einen ängstlichen Blick zu. »Wo war das Haus, Willie? Und wo sind wir jetzt?«
»Keine Ahnung, wo das war, bin nicht lange genug stehengeblieben, um nachzusehen. Als ich den Wagen in Gang gekriegt habe, bin ich etwa fünf Minuten lang durch kleine Nebenstraßen gefahren, und dann hab ich mich in Islington wiedergefunden. Jetzt sind wir auf der Euston Road. Wo ist deine Wohnung?«
»In einer Seitenstraße vom Eaton Square.«
»Dann setz ich dich da noch ab, bevor ich die Schleuder hier irgendwo loswerde. An deiner Stelle würd ich mir ein paar neue Gorillas besorgen, Bernie.
Oder noch besser: eine weite Reise machen. Und nicht so bald zurückkommen. Ich muß erst mal wieder ein bißchen fit werden, bevor ich mich mit diesen Dreckskerlen befassen kann, also kann das eine Weile dauern.«
Bernie erschauerte und nickte mit dem Kopf. »Ja, ich hab noch eine kleine Firma in Hongkong.«
»Na, das ist doch schön weit weg von hier.«
»Du hast gerade gesagt, du willst dich mit ihnen befassen, Willie. Meinst du denn, du kannst sie irgendwie aufspüren?«
»Weiß noch nicht. Gib mir einfach diese Telefonnummer, und ich versuch mal, etwas damit anzufangen.«
»Welche Telefonnummer? Ach so, ja. Mach ich, klar.«
»Jetzt gleich, Bernie. Morgen früh bin ich schon weg.«
»Natürlich, Willie. Alles, was du willst. Mann, du bist der beste Freund, den ich je gehabt habe.« Bei diesen Worten mußte Bernie schlucken, weil ihn das Gefühl wieder übermannte.
»Gern geschehen«, gab Willie zurück. »Und jetzt lehn dich zurück und erhol dich ein bißchen.«
Zehn Minuten später hielt der Wagen vor der Tür von Bernie Chans Haus. »Hol den Kalender, Bernie, und beeil dich. Ich möchte nicht allzu lange mit einem geklauten Wagen vor deinem Haus herumhängen.«
»Das stimmt allerdings«, pflichtete ihm Bernie leidenschaftlich bei, und rannte auf unsicheren Beinen die Stufen hinauf. Bevor er noch an der Tür war, ging sie von innen auf, und der verblüffte Rodney starrte ihn erleichtert
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