Modesty Blaise 11: Die Lady spannt den Bogen
eine Person unterstützen beziehungsweise beseitigen müssen – je nachdem, wie es uns am besten paßt.«
Nach kurzer Pause fragte Willie Garvin: »Und wo werden Sie selbst am Ende anzutreffen sein, Colonel?«
Golitsyn zuckte die Achseln. »Wenn alles glattgeht, werde ich wahrscheinlich die völlige Kontrolle sowohl über den KGB und den GRU ausüben. Das wäre eine bisher einzigartige Position, und mehr will ich gar nicht.« Die Falten seines massigen Gesichts vertieften sich zu einem Lächeln. »Ich bin kein Politiker, Mr. Garvin, ich bin ein Spieler.«
»Und wenn nicht alles glattgeht?« wollte Modesty wissen.
Er lächelte immer noch, als er antwortete: »Dann habe ich das Spiel verloren, Miss Blaise. So wie Raikow damals. Und nun könnten wir vielleicht unsere Abmachung zu einem guten Ende bringen, indem Sie mir erzählen, wie Ihnen der Verdacht gekommen ist, daß die
Watchmen
hier ihren Stützpunkt haben.«
Ein Teil ihrer Gedanken hatte sich die ganze Zeit über mit dieser Frage befaßt, während sie Golitsyn zuhörte, und jetzt beantwortete sie seine Frage weder zögernd noch besonders hastig. »Ach, das war eigentlich relativ simpel. Oberon hatte die polnischen Zwillinge für einen Mord an Tarrant angeheuert. Und nachdem Willie die Zwillinge erledigt hatte …« Sie bemerkte, daß Golitsyns Augen ein Stückchen größer wurden, fuhr jedoch ohne Unterbrechung fort: »… da haben wir bei einem der beiden die Adresse von Bernie Chan gefunden. Also haben wir uns einen kleinen Trick ausgedacht, um Bernie zum Reden zu bringen, und wir hatten auch Glück damit. Anscheinend hat Bernie mehr für die Vermittlung verlangt, als Oberon für den Mord an Tarrant zugeteilt gewesen war, so daß er St. Maur telefonisch um Erlaubnis bitten mußte. Oberon hat Bernies Sekretärin die Nummer gesagt, die sie wählen sollte, und deshalb stand sie auch in ihrem Notizkalender.«
Golitsyn unterbrach sie und fragte ganz ruhig: »Er hat ihr die Nummer
gesagt
?«
»Ja, sonst hätten wir sie ja nicht von Bernie erfahren können. Dann haben wir herausbekommen, daß der Anschluß zum Landsitz des Earl St. Maur gehört, und wir fanden, er könnte wohl durchaus ein Kandidat sein, also haben wir ihn beschatten lassen, bis er uns zuerst nach Lissabon und schließlich hierher geführt hat.«
Wirklich sehr geschickt, dachte sich Willie Garvin.
Die ganze Geschichte klang vollkommen echt, weil sie es tatsächlich war – bis auf die kleine Abänderung, daß Oberon die Telefonnummer nicht für sich behalten hatte. Diese scheinbare Nachlässigkeit hatte Golitsyn leicht erschüttert, und es würde deswegen früher oder später sicherlich noch Ärger geben. Damit waren zwar nicht die Probleme gelöst, denen er und Modesty im Moment gegenüberstanden, aber es war zumindest ein Pfeil, den sie abgeschossen hatten, wenn auch in die Luft, so doch immerhin in Richtung ihrer Gegner.
Golitsyn stand nun auf und sagte: »Ich bin Ihnen sehr verbunden.« Seine Pfeife war ausgegangen, also steckte er sie in die Tasche. Mit dem Revolver in der Hand ging er zum Telefon, wobei er die beiden Gefangenen ständig im Auge behielt, und sprach in den Hörer. »Holen Sie Dr. Jakoubek aus seiner Kabine und sagen Sie ihm, er möchte gleich herunter ins Lazarett kommen.« Dann legte er auf und bemerkte: »Sie werden jetzt unter Schlafmittel gesetzt werden.«
Willie Garvin hatte seine Emotionen von seinem Verstand abgespalten und fühlte daher den kalten Hauch nur ganz entfernt, eine vage Mischung aus Angst, Wut und Enttäuschung. Er hatte den Kopf gedreht und beobachtete Modestys Hand, die mit einem Streifen des Bettlakens um das Gelenk an den Stahlrahmen des Bettes gefesselt war. Sollte sie Zeige- und Mittelfinger gerade nach vorn strecken und gleichzeitig die anderen beiden Finger nach innen krümmen, so würde er im selben Moment jeglichen inneren Widerstand beiseite schieben und jene Kraft zum Einsatz bringen, die nur allerhöchste Furcht, nämlich die Todesfurcht, entfesseln konnte. Er gestattete sich keinen Zweifel daran, daß er in der Lage wäre, die Bänder zu zerfetzen, mit denen seine Handgelenke ans Bett gefesselt waren, Golitsyn innerhalb von zwei Sekunden zu erreichen und ihn in einer Sekunde zu töten. Bis dahin würde ihn zwar höchstwahrscheinlich mindestens eine Kugel treffen, aber unter Umständen nicht lebensgefährlich verletzen. Die Prinzessin könnte sich in vier bis fünf Sekunden selbst befreien, und dann hätten sie Golitsyns Revolver
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