Modesty Blaise 11: Die Lady spannt den Bogen
Ventilationsöffnung mit sechs dünnen Blattschlitzen, die durch das Verdrehen einer Stahlscheibe geöffnet und geschlossen werden konnten. »Ich habe vorhin durchgesehen«, sagte sie. »Die Tür ist versperrt, und dahinter sitzt ein Mann mit Maschinenpistole, etwa zehn Schritt entfernt, wo der Korridor eine Biegung macht. Außerdem haben sie den Riegel auf der Innenseite abgeschraubt, und es würde mich nicht wundern, wenn er jetzt außen befestigt ist.«
Willie überdachte diese Informationen. Ohne Zweifel würden sie unter den chirurgischen Instrumenten irgend etwas finden, aus dem man einen behelfsmäßigen Dietrich für die Tür herstellen könnte, und eines der Skalpelle ließe sich als Wurfmesser benutzen, um mit dem Wachposten fertigzuwerden. Wenn allerdings die Tür von außen verriegelt war, dann würde ihr Ausbruch mehrere Sekunden in Anspruch nehmen, und die MP hätte ihn längst zerfetzt, bevor er sein Messer werfen konnte. Er blickte auf Modesty und hob eine Augenbraue.
»Wir warten noch«, flüsterte sie. »Wenn sie uns als Leichen auf Porto Santo zurücklassen wollen, werden sie uns vorher anziehen müssen, und dazu nehmen sie ganz bestimmt unsere eigenen Kleider und diese Gesichtsmasken, die sie alle aufhaben. Außerdem bekommen wir dann auch unsere Waffen zurück. Schließlich würde es seltsam aussehen, wenn man uns unbewaffnet auffindet. Golitsyn hat vorhin gesagt, das Mutterschiff kommt in der Abenddämmerung, um die Einsatztruppe aufzunehmen. Und das dürfte die wahrscheinlichste Zeit sein, uns noch eine letzte Spritze zu geben und dann für ihre Zwecke anzuziehen.«
Willie nickte. In diesem Moment würde sich auch die beste Chance für einen Ausbruch bieten. »Die nächste Injektion kriegen wir gegen eins. Bevor sie kommen, versetzen wir uns in ein leichtes Koma, damit wir den richtigen Eindruck machen.«
»Wird gemacht, Prinzessin.« Er schwieg eine Zeitlang und überlegte dann laut: »Wenn der Typ mit der MP immer noch im Korridor steht, wenn wir die Burschen ausschalten, die mit unseren Kleidern kommen …« Er brauchte seine Frage nicht zu beenden. »Ich weiß«, sagte sie. »Er braucht nur ein einziges Mal abzudrücken, dann feuert die gesamte Besatzung auf uns. Also denk mal darüber nach, wie wir hier geräuschlos herauskommen können, Willie. Es geht ja auch nicht nur um unsere eigene Befreiung. Wir müssen diese Aktion
Morgenstern
aufhalten, und ein unbemerkter Ausbruch ist dafür unsere einzige Chance.«
Zwanzig Minuten später flüsterte er: »Glaubst du, ich kann mich hier mal ein bißchen umsehen?«
Ihre nackten Schultern zuckten ein wenig, und sie fing an, ihre Arme durch Hin- und Herwinden aus den Stoffesseln zu befreien. »Es ist natürlich ein Risiko, aber was soll’s? Ich überwache die Tür. Die Belüftungsschlitze sind einen Spalt offen, und bei der Deckenbeleuchtung im Korridor kann er unmöglich meine Augen sehen. Wenn jemand kommt, dann zische ich – falls er es hört, wird er es für eines der Schiffsgeräusche halten.«
Willie wand sich aus seinen Fesseln und vergewisserte sich, daß er vier Sekunden brauchte, um wieder hineinzuschlüpfen. Dann stand er auf, ging durch das Krankenzimmer und schlich langsam im Operationsraum herum, wo er leise Schubladen aufzog und Schränke öffnete, seinen Blick über Regale schweifen ließ und dabei alles, was er sah, mit seinem photographischen Gedächtnis festhielt, das eines seiner speziellen Talente darstellte. Jede Menge Operationsbesteck lag herum. Er prüfte die Gewichtsverteilung eines der Skalpelle. Es war etwas zu leicht, um tief einzudringen, aber bei nur zehn Metern Entfernung müßte es reichen. Zu schade, dachte er betrübt, daß es keine Möglichkeit gab, einen Wurf durch die schmalen Luftschlitze auszuführen. Damit wäre eines der Hauptprobleme gelöst.
Fünf Minuten später kam er in den Krankenraum zurück, nahm seine gefesselte Stellung auf dem Bett wieder ein und zischte leise als Zeichen für Modesty.
Sie drehte sich von der Tür weg, ging rasch auf bloßen Füßen durchs Zimmer und lag nach knapp fünf Sekunden wieder genau wie vorher auf ihrem Bett. Sie fragte im Flüsterton: »Hast du schon eine Idee, Willie?«
»Noch nicht, aber ich weiß jetzt, was wir zur Verfügung haben. Ich werd mal drüber schlafen.«
»Gut, das mache ich auch. Also, dann.«
Er schloß die Augen und drehte sie nach oben, dann konzentrierte er sich langsam auf einen Körperteil nach dem anderen, um Muskulatur, Sehnen und
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