Modesty Blaise 11: Die Lady spannt den Bogen
Verletzungen werden wir gleich dort behandeln.«
»Das habe ich mir für heute nachmittag schon vorgenommen, Colonel.«
Kurz danach drehte sich der Schlüssel im Schloß, und man hörte den Riegel, der vorgeschoben wurde.
Von ihrem fernen Aufenthaltsort im Woanders-Nirgendwo nahmen Modesty Blaise und Willie Garvin das Weggehen der Männer und die Türgeräusche wahr, schliefen jedoch weiter.
Um sechs Uhr kam der Doktor noch einmal und verpaßte ihnen die letzte Injektion. Diesmal war Szabo bei ihm, der Modestys Körper mit einer Mischung aus Haß und Begierde betrachtete. Gerade als sie wieder gehen wollten, kam jemand vom Hilfspersonal herein und brachte die Kleider, Stiefel und Waffen, die Modesty und Willie am Abend vorher getragen hatten. Er legte alles auf eines der leeren Betten, und die drei Männer verließen den Raum. Szabo schloß ab und legte den Riegel vor.
Nach zwei Minuten rief Modesty leise: »Willie!« Er brauchte dreißig Sekunden, um langsam wieder wach zu werden. Als er die Augen öffnete, flüsterte sie: »Sie haben uns die Sachen und unsere Waffen viel früher hereingebracht. Mit ein bißchen Glück bleibt uns noch eine ganze Stunde Zeit, bevor sie herunterkommen, um uns anzuziehen. Wenn es sein muß, setzen wir eben alles auf eine Karte und riskieren einen Ausbruch, aber ich mache mir keine Illusionen über unsere Chancen, bei dieser Übermacht lebendig vom Schiff wegzukommen. Und wenn wir tot sind, dann können sie
Morgenstern
ungehindert durchführen. Also, mir wäre es wesentlich lieber, wenn wir uns etwas Eleganteres einfallen lassen könnten.«
Willie kniff ein Auge zu. »Ich hab mir schon überlegt, wie wir mit dem Typ im Korridor fertigwerden.«
Sie schlüpften aus den Bettlakenfesseln und zogen sich Hosen und Stiefel über. Willie schnallte sich den leichten Ledergurt um und steckte seine Zwillingsmesser hinein, so daß sie vor seiner rechten Brust einsatzbereit lagen. Modesty überprüfte ihre Star .45 Automatic und verstaute sie in dem Vorschulterhalfter, das Willie für sie konstruiert hatte. Dann zogen sie ihre schwarzen Hemden über, und während Willie im Operationsraum verschwand, hielt sie an der Tür Wache.
Sie fragte sich zwar, was er vorhatte, verlor jedoch keine Zeit mit unnötigen Fragen. Ein Auge dicht an den schmalen Belüftungsschlitz gepreßt, sah sie den Wachposten am Ende des Korridors und erkannte, daß es Szabo war. Er hatte seinen Stuhl gegen ein Schott gekippt und saß direkt der Tür gegenüber, die Maschinenpistole hielt er mit beiden Händen auf den Knien aufgestützt. Sie konnte nicht sehen, ob die Waffe entsichert war, aber das war ihr ohnehin klar.
Im OP montierte Willie inzwischen die Befestigung eines Handtuchhalters von der Wand ab, eines schwarzen Plastikrohrs von etwa einem Meter Länge. Dieses Rohr legte er auf einen Tisch und suchte sich dann mehrere Instrumente für Operationen und Zahnbehandlungen zusammen, die er als Werkzeuge verwenden konnte. Die nächsten zwanzig Minuten arbeitete er äußerst konzentriert: Er zog den Kolben einer Wegwerfspritze heraus und schnitt mit unendlicher Sorgfalt die Scheibe an dessen unteren Ende zurecht, wobei er den Durchmesser mit der Öffnung des langen Plastikrohres verglich. Als er mit seinem Werk zufrieden war, schnitt er zwei schmale Dreiecke aus dem Plastikdeckel einer kleinen Dose heraus und spaltete sie in der Mitte auf, so daß man sie im rechten Winkel ineinander stecken konnte.
Dann zwickte er aus dem Schutzgitter eines Ventilators ein dreizehn Zentimeter langes Stück festen Draht ab und schliff es mit einer kleinen Zahnfräse an einem Ende spitz zu.
Mit Hilfe einer chirurgischen Nadel machte er in der Mitte des Spritzenkolbens ein zwei Zentimeter tiefes Loch, in das er diesen spitzen Draht mit dem stumpfen Ende hineindrückte. Als letztes nahm er eine winzige Knochensäge und brachte damit am Schaft des Kolbens zwei Längsschnitte an, in die er die beiden dreieckigen Plastikstücke hineinsteckte.
Modesty drehte sich zu ihm um, als er mit dem langen schwarzen Rohr und seiner Konstruktion herüberkam – einem gefiederten Pfeil, dessen Stahlspitze etwa zehn Zentimeter lang und anderthalb Millimeter dick war. Mit einem bewundernden Lächeln blickte Modesty von seinem Werk auf sein Gesicht und berührte ihn mit den Fingern kurz an der Wange.
Es war nun schon fast ein Jahr her, daß sie einmal zusammen über einen Jahrmarkt geschlendert waren, in einem kleinen Dorf nicht weit von ihrem Landhaus
Weitere Kostenlose Bücher