Modesty Blaise 11: Die Lady spannt den Bogen
kurzem Nachdenken teilte er ihr seine Überlegungen mit. »Die Schiffsschraube dreht sich im Leerlauf, also kommen wir da nicht ran, und ans Ruder auch nicht. Leider kann ich aus dem ganzen Zeug keine Bombe fabrizieren, die stark genug ist, um von außen genügend Schaden anzurichten. Ich kann versuchen, damit irgendwie in den Maschinenraum des Mutterschiffes zu kommen. Wenn wir den zerstören können oder den Steuermechanismus, dann ist
Morgenstern
geplatzt.«
Das wäre möglich. Aber Willie Garvin würde dabei sterben. Sie hatte die Möglichkeit, an Bord des Mutterschiffes zu gelangen, bereits durchdacht und sie wieder verworfen. Es war wesentlich kleiner als das Bohrschiff, und sein Deck lag daher viel tiefer. Zwischen den beiden waren dicke Stoßfänger angebracht, und der einzige Übergang war eine breite Gangway vom Bohrschiff, wofür man die Reling an einer Stelle durchbrochen hatte. »Unmöglich, Willie«, erwiderte sie leise. »Nicht einmal, wenn ich ein Ablenkungsmanöver mache. Und in ein paar Minuten wird St. Maur herausfinden, daß Szabo tot ist und wir geflüchtet sind, oder jemand anderem fällt auf, daß einer der Froschmänner fehlt, also haben wir nicht mehr viel Zeit übrig von unserem Überraschungsmoment. Aber mir ist da etwas eingefallen. Erinnerst du dich noch an Jock Miller, als er uns letztes Jahr für ein paar Tage in der
Treadmill
besucht hat? Er hatte doch gerade für eine der Nordsee-Ölgesellschaften in Aberdeen gearbeitet, und damals hat er uns diese merkwürdige Geschichte erzählt.«
Willie Garvin schwieg für zehn Sekunden und meinte dann: »Ja, und wir wissen, daß sie hier erst vor wenigen Tagen auf Gas gestoßen sind.«
»Genau. Ob wir wohl in dieser Richtung irgend etwas zustande bringen können?« Sie hörte, wie er ein gespenstisches Kichern ausstieß.
»Prinzessin, du bist phantastisch«, flüsterte er ihr ins Ohr.
»Es wird aber verteufelt schwierig sein.«
»Könnte schlimmer sein. Zufällig weiß ich, wo ein toter Froschmann mit all seinem Gerät in einer Kiste verstaut liegt. Das dürfte schon eine Menge Probleme lösen. Ich hoffe nur, daß das Ganze auch so funktioniert, wie Jock erzählt hat.«
»Wenn nicht, dann haben wir auch nichts verloren.
Ich werde in fünf Minuten Pfeil und Bogen einsetzen oder auch früher, falls jemand Alarm schlägt, und dann mache ich mit der MP weiter. Und wenn du fertig bist, egal wie es ausgeht, dann treffen wir uns zweihundert Meter von hier entfernt im Wasser, auf der direkten Verbindungslinie zwischen dem Bohrschiff und der Südspitze von Deserta Grande. Von der Südspitze, nicht vom Stützpunkt der
Watchmen
. Wenn der Plan nicht funktioniert, schwimmen wir dorthin, wo wir die Segeljacht versteckt haben. Rechnen wir dafür eine Stunde ein. Setz dich sofort ans Funkgerät und rede mit Weng.
Er sollte zwar eigentlich erst eine halbe Stunde später auf Empfangsbereitschaft sein, aber vielleicht hört er schon vorher mit. Wenn wir durchkommen, kann Weng mit Fraser telefonieren, der sofort Verbindung zu Tarrant bekommen müßte. Das Mutterschiff braucht zwei Stunden bis Porto Santo, und das heißt, wenn wir die Sache hier nur um eine Stunde verzögern können, dann erreicht ihn die Nachricht vielleicht noch rechtzeitig.«
»Ist gut.«
»Und, Willie … warte nicht länger als fünf Minuten auf mich bei unserem Treffpunkt. Ich könnte gerade zu tun haben. Nach fünf Minuten schwimmst du los.«
»In Ordnung.«
Dann war er verschwunden. Sie sah zu, wie die Männer in den Kampfanzügen der
Watchmen
in Gruppen Aufstellung nahmen und das Bohrschiff über die Gangway verließen. Einen Augenblick lang fragte sie sich, auf welche Weise Willie die Aufgabe, die sie ihm gestellt hatte, wohl zu verwirklichen gedachte, schob diesen Gedanken jedoch beiseite und konzentrierte sich darauf, Golitsyn oder Oberon unter den Gestalten zu erkennen, die sich zwischen dem Fuß des mittschiffs aufragenden Bohrturms und dem Durchbruch in der Reling am diesseitigen Ende der Gangway bewegten.
Sie erblickte den Mann, den St. Maur mit Siegfried angeredet hatte, als sie und Willie auf das Bohrschiff gebracht worden waren. Ohne Zweifel mußte er eine der Schlüsselfiguren bei Unternehmen
Morgenstern
sein.
Wenn es ihr gelänge, vier oder fünf dieser Hauptpersonen außer Gefecht zu setzen – St. Maur, Oberon, Golitsyn und jeden anderen Gruppenführer, dann könnte sie damit vielleicht so viel Verwirrung stiften, daß der Anschlag auf das Gipfeltreffen
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