Modesty Blaise 11: Die Lady spannt den Bogen
ihre Selbstbeherrschung nach diesem neuen Schock, der an ihren Nerven zerrte. Sie begriff nicht, wie das hatte passieren können, aber sie war sich nun klar, daß diese Männer keine CIA-Agenten waren und daß sie Ben Christies Tarnung damit endgültig zerstört hatte, falls noch irgendein Zweifel bestanden hatte.
Perry steuerte die Barkasse in einer Kurve nach Westen und nahm damit Kurs auf die Mündung der Bucht. Dabei sagte er: »So, ich sag dir jetzt, was du zu tun hast, aber tu es ganz langsam, wir sind nämlich vor dir gewarnt worden, Süße. Zuerst wirst du den Riemen deiner Handtasche von der Schulter streifen, und dann hebst du beide Hände langsam hoch, bis sie über deinem Kopf sind, und zwar müssen sie sich gegenseitig umfassen, so daß die Finger ineinandergreifen. Verstanden?« Sie blickte auf den Lauf des Revolvers, dann in die Augen des Mannes, der ihr gegenüberstand, und beurteilte ihre Chancen für eine erfolgreiche Gegenaktion mit Null.
Die Finger ihrer bandagierten Hand waren leicht gekrümmt, und nachdem sie ihre Arme über dem Kopf ausgestreckt hatte, sagte sie: »Ich kann meine Hände nicht ineinanderverschränken. An meiner Linken habe ich einen Schnitt, und erst vor einer Stunde habe ich mir Novocain injiziert. Die Hand ist völlig taub.«
Perry blickte über die Schulter. »Dann leg die Handgelenke gekreuzt übereinander. Genau, und jetzt laß sie so. Jetzt hebst du deine Beine hoch und legst dich mit dem Gesicht nach unten auf den Sitz da, dabei behältst du deine Arme nach vorn gestreckt, genauso wie jetzt. Und langsam, meine Dame, ganz langsam.«
Sie gehorchte. Der andere Mann stand auf, und gleich darauf fühlte sie, wie sich die Mündung seiner Waffe in ihren Nacken preßte. Eine Nylonschlinge wurde über ihre Hände gestreift und mich einem Ruck festgezogen. Das andere Ende zog er um eine Stange am Ende der Sitzbank und sicherte es dort mit einer Hand durch einen Schifferknoten ab. Sie hörte, wie Perry mit jemandem sprach, vermutlich über ein Funkgerät. »Wir haben die Kundin wie vereinbart abgeholt. Sie hat es geschafft, sich mit der
Company
in Verbindung zu setzen, deswegen dachte sie, wir wären von dort geschickt worden.«
Perry war sehr tüchtig.
Company
war unter Geheimagenten der Ausdruck für den CIA, und Perry berichtete gerade seinem Chef, daß Modesty Blaise auf irgendeine Weise jemanden dort benachrichtigt hatte.
Der Druck des Revolvers in ihrem Nacken verschwand und kehrte gleich wieder zurück, diesmal auf ihrem Schenkel, wo er gegen die starke Arteria femoralis gepreßt wurde. Sekunden später wurde ihr eine Schlinge fest um den einen Fußknöchel gelegt, dann um den anderen, womit ihre Beine so gefesselt waren, daß ihre Bewegungsfreiheit nur noch dreißig Zentimeter betrug.
Da ihr Kopf nach achtern gerichtet war, konnte sie keinen der Männer mehr sehen, aber sie hörte Perry sagen: »Übernimm du hier am Ruder, Nico. Ich will sie selbst durchsuchen. Oberon meinte, sie könnte voller Überraschungen stecken.«
Oberon
!
Auf einmal sah sie wieder das Gesicht des Mannes vor sich, der mit Ben Christie in dem Restaurant in Chinatown gegessen hatte und erinnerte sich an das quälende Gefühl von unbestimmbarer Unruhe, das sie danach erfaßt hatte und über dessen Ursache sie sich im unklaren gewesen war. Jetzt kam ihr diese Ursache kalt und bedrohlich ins Bewußtsein. Man brauchte sich nur den Bart wegzudenken, und hervor kam das fast vergessene Gesicht des draufgängerischen, arroganten jungen Rekruten, den sie aus dem
Netz
hinausgeworfen hatte, als sie die Organisation auflöste. Hugh Oberon.
Jetzt fiel ihr auch sein voller Name wieder ein. Ein enorm vielversprechender Kandidat, leider jedoch mit einem tiefliegenden Charakterfehler, der es ihm vollkommen unmöglich gemacht hatte, die Art und Weise, in der die Unternehmungen des
Netzes
durchgeführt wurden, zu verstehen und zu akzeptieren.
Perrys Hände tasteten ihren Körper und ihre Kleidung Zentimeter für Zentimeter ab. Den Kongo, das kleine, pilzförmige Holzstück, das zu einer so wirkungsvollen Schlagwaffe werden konnte, fand er in seinem Versteck in dem Haarbüschel, das in ihrem Nacken hing. Er zog den Colt .32 aus dem Gürtelhalfter in Hüfthöhe unter ihrem Umhang, und er entdeckte auch die flache Automatik, eine nur zweihundertfünfzig Gramm schwere Sterling .25, die mit dem Klebeband an ihrem Schenkel befestigt war und die sie mit einem Griff durch den unsichtbaren Schlitz in der Seitennaht
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