Modesty Blaise 11: Die Lady spannt den Bogen
versunken. Nach etwa zehn Sekunden zuckte er die Achseln, stieß einen kurzen Seufzer aus und schüttelte den Kopf. »Nein. Das ist leider unmöglich.
Blaise und Garvin in unsere Gewalt zu bringen, würde genaueste Planung und lange Vorbereitungen erfordern, außerdem eine ganze Einsatzgruppe für die Durchführung, vielleicht sogar zwei. In der Vorphase von
Morgenstern
können wir uns eine so umfangreiche Nebenaktion nicht leisten. Trotzdem ist es eigentlich schade.«
Er setzte sich wieder in Bewegung, verfolgte seinen Gedankengang jedoch weiter. »Aber ich schlage vor, daß wir Oberon nach dem Unternehmen
Morgenstern
, sobald seine äußere Erscheinung genügend verändert worden ist, die Gelegenheit geben, diese Frau aufzuspüren und umzubringen. Erstens wird es für sein Ego sehr wichtig sein. Im Moment wirkt seine Niederlage gegen sie noch als dynamischer Antrieb, aber wenn er zu lange auf seine Rache warten muß, dann wird die Erinnerung daran von seinem Denken Besitz ergreifen, was seinen Nutzen für uns nur vermindert. Und zweitens ist sie ein schädliches Element. Lesen Sie mal in ihrer Akte, dann sehen Sie, daß sie – fast wie auf Grund einer natürlichen physikalischen Gesetzmäßigkeit – immer wieder in sauber vorbereitete Projekte verwickelt wird, genau wie ein Schmutzkörnchen, das in das Innere einer komplizierten Maschine hineinfällt, und zwar mit ebenso verheerenden Folgen. Mich würde es jedenfalls sehr beruhigen, wenn sie tot wäre, und dieser Willie Garvin auch.«
»Für jemanden, der eigentlich nur an den dialektischen Materialismus oder ähnliches glaubt, verzapfen Sie da ja ziemlich mystisches Zeug«, knurrte St. Maur.
»Aber ich bin auch dafür, Oberon heute noch zu sagen, daß er sich nach
Morgenstern
mit der Blaise befassen soll. Am besten machen Sie das, Colonel. Dann hat er etwas, worauf er sich freuen kann. Und jetzt macht es Ihnen hoffentlich nichts aus, wenn wir diese verdammte Frau wieder vergessen, damit ich mich auf die Vorbesprechung konzentrieren kann.«
Zweiundvierzig Männer hatten sich in der größten Hütte versammelt, die zur Landbasis der Bohrexpedition gehörte. Es war das Gemeinschafts- und Erholungshaus, wo auch jeden Abend Filme vorgeführt wurden, außer wenn Nachtübungen angesetzt waren. An diesem Morgen saßen die Männer bequem auf ihren Stühlen und hörten Oberon zu. Er stand auf einem niedrigen Podest am Ende des Raumes und besprach ruhig und mit sparsamen Worten eine Trainingsaktion der vergangenen Nacht. Seine Zuhörer kamen aus verschiedenen Ländern, doch verband sie ein besonderer Faktor, weit mehr, als wenn sie dieselbe Staatsangehörigkeit hätten. Sie alle waren durch und durch harte Männer, nicht von der lauten oder offen aggressiven Art, aber für sie stellte kontrollierte Gewalt sowohl eine Notwendigkeit als auch eine Kunst, eine Wissenschaft dar.
Ein weiterer gemeinsamer Faktor bestand in der Unfähigkeit jedes dieser Männer, ein anderes Leben als das eigene zu achten. Der Tod, der Schmerz und die Wunden von anderen hatten für sie keine Bedeutung.
Das hieß allerdings nicht, daß die
Watchmen
geistig beschränkt waren. Sie hatten alle Fertigkeiten, die sie in ihrem Gewerbe brauchten, den Mut, diese Fertigkeiten auch einzusetzen, und die innere Gewißheit, daß diese Eigenschaften in ihnen schlummerten. Ihr Verlangen nach Frauen war im allgemeinen nicht sehr groß, denn sie alle neigten dazu, ihre bevorzugten Waffen und die Aussicht, sie auch zu gebrauchen, weitaus mehr zu lieben als den weichen Spielplatz eines weiblichen Körpers.
Jetzt hörten sie aufmerksam Oberons Ausführungen zu, der mit Zeigestock und Kreide seine Kommentare auf einer Tafel verdeutlichte. Selbst unter diesen harten Männern fiel Oberons Kälte auf, und wenn einer der
Watchmen
im Training zweimal denselben Fehler machte, würde Oberon sofort seine Ausmusterung beantragen. Ein solcher Antrag mußte noch von den Anführern bewilligt werden, aber in den drei Fällen, wo dies in den vergangenen anderthalb Jahren eingetreten war, hatten sie seine Entscheidung jedesmal gebilligt. Ausmusterung hieß bei den
Watchmen
nicht etwa, daß man nach Hause gehen konnte. Es bedeutete, daß man getötet wurde.
Oberon sagte gerade: »Bei der Landung am Strand haben nur die Kanus von Gruppe Vier ihre Ziele genau und zum vorgesehenen Zeitpunkt erreicht. Die übrigen waren zwar nicht schlecht, aber da gibt es noch eine Menge zu verbessern. Ich brauche Ihnen ja kaum zu erzählen,
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