Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
fühlte sich dadurch bestätigt: Sie hatte spekuliert, dass Hagner vielleicht nicht schlafen könne, weil er sich einbilde, einen Mord beobachtet zu haben, oder weil er surfe, chatte, skype oder sonst eine Form virtueller Onanie betreibe, wie es die jungen Leute heutzutage eben täten.
Hagner konnte einiges über Miriam erzählen und verwies obendrein auf deren Facebook -Profil; Uplegger nahm das mit einem gewissen Schuldgefühl zur Kenntnis und meinte später zu Barbara, darauf hätten sie auch selbst kommen können.
Nach einiger Zeit wussten sie schließlich, dass Miriam nicht nur aus Rostock stammte und Germanistik, Erziehungs- und Kommunikationswissenschaften studierte, sondern sie tat auch ihre Hobbys kund: Literatur, Kunst, Filme, Geschichte, Arbeit mit Kindern, Radfahren, Schwimmen, Segeln und Musizieren. Sie wollte Englisch und Spanisch beherrschen, sich ein Zubrot mit Babysitting verdienen, in einer Frauenband spielen, deren Namen sie nicht verriet, und mit dem Fahrrad, so hatte sie gegenüber Hagner behauptet, sei sie in 15 Minuten am Strand. Das schränkte ihren potenziellen Wohnort erheblich ein – wenn diese Angaben überhaupt stimmten. Auch dass die Fotos im Hintergrund von Miriams Freiwilligem Sozialen Jahr in Mittelamerika stammten, brachte Uplegger in Erfahrung.
Facebook teilte ihm außerdem mit, Miriam habe 973 Freunde, ein Umstand, den Barbara mit dem Satz kommentierte: »Das Mädel ist geistesgestört.«
»Oder war es«, hatte Uplegger hinzugefügt.
In den frühen Morgenstunden waren sie mit allen Ermittlungen, die man des Nachts erledigen konnte, fertig. Sie hätten nach Hause gehen können, aber irgendwie erwarteten sie etwas Unbenennbares: dass die Hand einer Leiche aus dem Monitor geschossen käme oder dergleichen. Barbara fühlte sich die ganze Zeit über nicht recht wohl. Sie hätte sich im Internet nun noch auf die Suche nach Silastik begeben können, aber so drängend war ihr Wissensdurst nicht. Aber Durst war das richtige Stichwort. Vor allem hatte sie Durst, Durst, Durst.
Das Institut für Germanistik befand sich in einem Gebäude in der August-Bebel-Straße, das immer noch das Stasihochhaus genannt wurde: Das Bauwerk hatte ebenso wie die umliegenden Häuser einst der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Rostock gehört, und wurde nun einesteils von der Justiz, anderenteils von der Philosophischen Fakultät der Uni genutzt. Das wollte Barbara natürlich nicht unbemerkt stehen lassen: »Was hat das bisschen deutsche Grammatik mit Philosophie zu tun?«
Uplegger antwortete nicht.
Der einfachste und vielleicht sogar schnellste Weg, um von der Polizeiruine in der Blücherstraße zum Stasihochhaus zu gelangen, war per pedes. Barbara und Uplegger hatten dennoch den Wagen genommen, obwohl die Polizeiführung gebetsmühlenartig zum Spritsparen aufrief und der Treibstoff bei der Bundespolizei schon rationiert worden war. Vermutlich schaute man überall in den Ministerien mit sehnsüchtigem Blick in die Vergangenheit und hatte bereits das Konzept für eine Wiederbelebung der Landgendarmerie zu Fuß in den Schubladen.
Bevor man sich ganz der Germanistik zuwandte, war noch ein kleiner Abstecher zu Barbaras Wohnung in der Langen Straße fällig, wo sie ihren aufgeregten Kater nicht nur mit Nahrung, sondern auch mit Insulin versorgen musste. Da nach tierärztlicher Verordnung zwischen Nahrungsaufnahme und Injektion eine Viertelstunde verstreichen sollte, nutzen die beiden Kriminalisten die Pause, um selbst belegte Brötchen zu verzehren, die Uplegger in der Breiten Straße besorgt hatte. Barbara verzehrte drei Mal mehr als er, hielt sich aber für eingeladen und dachte nicht im Traum daran, ihren Anteil zu bezahlen.
Das Studienbüro hatte sein Domizil in Raum 9207, also fuhren sie mit dem Aufzug in den neunten Stock. In 9207 residierte Frau Czerwinski, eine kleine, dunkelhaarige Person von Ende 40, die sehr resolut wirkte und zweifellos ihren Mangel an Körpergröße durch Haarwuchs auf den Zähnen wettmachte – so war jedenfalls Barbaras erster Eindruck. Da Uplegger den Besuch der Kriminalpolizei angemeldet und ihr Anliegen bereits am Telefon vorgetragen hatte, nahm Frau Czerwinski sie nicht nur ohne Zeichen von Überraschung in Empfang, sie hatte auch bereits in den Matrikellisten nachgeschaut und konnte ihnen zwei Miriams präsentieren: eine Miriam Tamm aus dem 2. und eine Miriam Uckrow aus dem 4. Semester. Barbara fand das einen vielversprechenden Beginn.
Nachdem sie die Passfotos
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