Mörder Quote
überlegt, ob er sich irgendjemandem aus der Produktion offenbaren sollte, bevor er sich für Tanya entschieden hatte. Es musste jemand sein, der notfalls ein Geheimnis für sich behalten, aber auch die professionelle Reichweite von Saschas Geschichte genau bewerten könnte. Und jemand, der nicht gleich mit jedem Kram zur Presse lief, sondern erst mal diskrete Nachforschungen anstellen würde und könnte. Kurz: jemand, dem Sascha vertraute. Und da gab es im Moment nur Tanya.
Erst hatte er die Briefe gar nicht ernst genommen, die in seinem Hotel abgegeben worden waren. Zwar hatte er sich gewundert, dass sie nicht mit der normalen Fanpost bei ihm landeten, die die Produktion regelmäßig sammelte und vorbeischickte, aber die Fans von MS 3000 saßen überall, und obwohl der Aufenthaltsort der Kandidaten geheim gehalten wurde, gab es immer genug Zimmermädchen und Rezeptionisten, die weitererzählten, wer sich gerade in ihren heiligen Hallen aufhielt. Und es war ja am Anfang auch nur ein Brief pro Woche gewesen, immer am Montag und immer sauber aus dem Computer ausgedruckt. Aber jetzt kamen die Briefe täglich.
Sascha hatte sich von Anfang an gegen schwulenfeindliche christliche Fundamentalisten innerlich gewappnet. Sobald in der Öffentlichkeit klar war, dass ihm sexuell Brad Pitt wichtiger war als Angelina Jolie, hatte er sich auf Hass aller Art mental vorbereitet. Und diese Bibelzitate waren ja zuerst auch fast lustig gewesen, wie aus einem altmodischen Horrorfilm. Aber mit der Zeit hatten sich Ton und Art der Briefe verändert, die Gewaltfantasien waren konkreter geworden und hatten im Vergleich zu den Bibelsprüchen immer mehr an Raum gewonnen. Und vor allem jetzt, wo Kandidaten der Sendung »Unfälle« erlitten, war Sascha klar geworden, dass dahinter nicht nur irgendein krankes müdes Hirn in einem Schrebergarten hockte, sondern die Briefe vielleicht Hinweise auf den Täter waren. Oder sogar auf das nächste potenzielle Opfer. Und das wollte nicht er sein.
Tanya las die hasserfüllten Machwerke ruhig durch, denn nach den fröhlichen Fotos von eben konnte sie eigentlich nichts mehr erschüttern. Sie war lange genug in dieser Show, um jegliche kranke Fanpost gelesen und sogar schon selber bekommen zu haben. Die Autoren der Show machten sich einen Spaß daraus, die schlimmsten Blumen der öffentlichen Meinung zu sammeln und jedes Jahr bei Marcos Weihnachtsfeier als Sketch zu spielen. Bei der gesamten Crew unvergessen der Sketch »Manni, der Fußfreund, wünscht sich abgetragene Pumps von Tanya. Für seine kranke arme Mutter … die sicher Glitzerheels mit neun Zentimeter Absatz braucht …« Und so kam Tanya die Mischung aus Homophobie und Gewaltfantasien in den Briefen fast vertraut vor. Aber beim Absender stutzte sie plötzlich. »Joab? Der Joab aus der Bibel?«
Sascha war ein Kind seiner Zeit: »Ich habe das natürlich gegoogelt und folgende Geschichte gefunden: Joab ist eine Person aus dem Alten Testament, Heerführer König Davids und dessen Neffe. Einer von Davids Söhnen war Absalom, bekannt für seine Schönheit und seine langen Haare. Absalom, auf der Flucht vor den Soldaten seines Vaters, blieb mit seinem langen Haupthaar in der Krone eines Baumes hängen. Joab tötete ihn, indem er ihm drei Spieße ins Herz stieß. Dies tat er, obwohl David seine Soldaten vor dem Kampf darum gebeten hatte, Absalom zu verschonen. Er war also ein grausamer Rächer an einem schönen, jungen, ehrlich gesagt, für mich leicht schwul wirkenden Mann.«
Sascha sah Tanya an wie ein verängstigter Welpe. »Was, wenn ich der Nächste bin?« Er sprach damit das aus, was beide dachten. »Was, wenn ich auch einen Unfall habe?«
Tanya sah noch einmal den ganzen Stapel von Briefen durch. Nichts am Schriftbild oder am Papier ließ auf den Absender schließen. Gestempelt waren sie in Köln und dann noch mal vom Hotel mit »Eingang Gast« versehen. Aber es könnten Fingerabdrücke darauf sein.
»Ich gebe sie der Polizei«, sagte sie schließlich. »Im Moment forschen die in alle Richtungen, und vielleicht ist es ja wirklich eine Spur. Und was dich angeht … ich bitte Marco, deinen Personenschutz zu verstärken. Und keinen Schritt außerhalb der bekannten Pfade, verstehst du? Vom Studio ins Hotel und zurück, sonst nichts! Keine Ausflüge ins Rainbow !«
Das Letzte sollte ihn wieder ein bisschen aufmuntern, zeigte aber bei Sascha keinen Effekt. Sein junges hübsches Gesicht blieb ernst. »Ich verspreche es!«, sagte er feierlich.
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