Mörderische Aussichten
auf dem eigenen Linoleumboden aufgespießt ist.«
»Gerade dann.«
»Nun...« Meemaw fächelte sich mit der feuchten PapierservietteLuft zu, auf der ihr Wasserglas gestanden hatte.
Ich erhob mich und schaltete den Deckenventilator an. »Alles in Ordnung mit Ihnen?«
»O ja, natürlich. Ich bin nur einfach erhitzt. Das geht schnell bei mir.«
Aber sie sah alles andere als okay aus. Sie sah aus wie eine alte Frau, die sich mit zu viel Gewicht und Stress am heißesten
Tag des Jahres herumschlug. Wenn die auf die Polyestershorts zulaufenden verdickten Krampfadern irgendein Hinweis waren, würde
ich am besten gleich den Notarzt rufen.
»Lassen Sie mich einen kalten Waschlappen holen«, bot ich an. »Sie können ihn sich an die Stirn halten.«
»Danke, aber ich lutsche einfach etwas Eis.« Sie fischte mit dem Finger einen Eiswürfel aus ihrem Wasserglas.
»Nicht kauen«, sagte ich aus Gewohnheit.
Meemaw und ich lächelten uns bei dieser mütterlichen Ermahnung an, die, wenn man so wollte, das Eis zwischen uns brach.
»Haben Sie irgendeine Vermutung, warum Gabriel Sie zu mir geschickt hat?«
Meemaw lutschte gedankenvoll den Eiswürfel. »Er hat gesagt, Sie hätten mir etwas zu sagen.«
»Nun, wie wär’s, wenn ich einfach ein paar Dinge erzähle. Zum Beispiel, dass meine Tochter Haley morgen heiratet.«
»Das ist es nicht.«
»Ich weiß.« Ich sah sie mit meinem Lehrerinnenblick an. »Hören Sie einfach zu, vielleicht erhaschen Sie dann die Botschaft.«
Meemaw schwieg, weshalb ich fortfuhr: »Sie heirateteinen HN O-Arzt mit Namen Philip Nachman. Er ist der Neffe des zweiten Ehemannes meiner Schwester Mary Alice. Dieser hieß ebenfalls Philip
Nachman, was manchmal zu Verwirrungen führt, aber Mary Alice nennt ihn Neffe, weshalb wir sie gewöhnlich auseinanderhalten
können. Den Neffen und den Onkel-Ehemann, der der Vater von Debbie war, Henrys schwangerer Frau. Sie haben Henry neulich Abend
kennengelernt. Er hat das Abendessen gekocht. Jedenfalls werden sie für ein paar Monate in Warschau leben, Haley und der Neffe,
und das ist die überstürzteste Hochzeit, die ich je erlebt habe. Sie haben nicht einmal an Blumen gedacht. Wir haben ein Arrangement
aus Gladiolen besorgt und eines dieser kleinen Bouquets, das man in der Hand hält. Man nennt sie Biedermeiersträuße. Wussten
Sie das?«
Meemaw schüttelte den Kopf.
»Wir waren heute früh im Big, Bold and Beautiful Shop, um Mary Alice ein Kleid für die Hochzeit zu kaufen, als ich Sunshine
sah. Ich wäre fast überfahren worden auf der Twentieth Street, als ich hinausrannte, aber sie war schon wieder durch den Hintereingang
eines Eisenwarenladens verschwunden. Dann sind wir in einen Kosmetikladen und haben ein Make-up für dieses Horn an meinem
Kopf gekauft. Es hat geholfen, aber ich werde nach wie vor schrecklich aussehen bei der Hochzeit. Meine Enkel werden sich
einmal die Bilder ansehen und sagen: ›Was hatte Oma denn da?‹, und alle werden lachen und sagen: ›Sie ist über einen Truthahn
gefallen.‹ Sogar meine jetzt noch ungeborenen Enkelkinder werden das wissen.« Ich machte eine Pause. »Lieber Gott. Ich wette,
sie haben auch noch niemanden, der Fotos macht. Ich frag besser mal nach.«
Meemaw war weiter nach vorn gerutscht und saß jetztauf der Sofakante. »Sie haben sich am Kopf verletzt, weil Sie über einen Truthahn gefallen sind?«
»Direkt vor der Haustür meiner Schwester. Ich hätte mir den Hals brechen können. Ein ganzer Truthahn lag da, kein tiefgekühlter,
sondern einer mit Federn und allem, mit heraushängenden Eingeweiden.« Es schüttelte mich. »Igitt.«
Meemaw stopfte sich einen weiteren Eiswürfel in den Mund und stand auf. »Danke, Patricia Anne.«
»Wofür? War der Truthahn die Botschaft?«
»Wahrscheinlich.«
Ich stand ebenfalls auf. »Was besagt die Botschaft? Wir glauben, es war eine Art Warnung.«
»Ich weiß nicht, aber ich habe einen Lichtschein gesehen.«
»Ich habe früher Lichtscheine gesehen, wenn ich Migräne bekam. Zickzackartig. Das war hormonell bedingt, deshalb bekomme ich
das jetzt nicht mehr.«
»Das hier ist wie ein Blitz.«
»Sind Ihre Netzhäute in Ordnung?«
Meemaw kicherte, während wir zur Tür gingen. »Absolut.«
Hitze ergoss sich durch die Tür, als ich sie öffnete. »Kommen Sie da draußen klar?«, fragte ich.
»Natürlich. Danke.« Sie zupfte sich den Polyesterstoff von ihrem Hinterteil.
»Lassen Sie es uns wissen, wenn Sie herausgefunden haben, was die
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