Mörderische Tage
und komm, es ist dringend.«
»Viertelstunde.«
»Danke.«
»Kann ich Ihnen irgendwie weiterhelfen?«, fragte Miranda Stauffer den sehr nachdenklich wirkenden Hellmer.
»Nein. Meine Kollegin wird gleich hier sein. Welchen Ein druck machte Frau Durant gestern auf Sie?«
»Ganz normal, allerdings habe ich mich das erste Mal mit ihr unterhalten und weiß nicht, wie sie sonst ist. Glauben Sie, dass ihr etwas passiert ist?«
»Ich glaube überhaupt nichts, bis ich es nicht mit eigenen Augen gesehen habe«, antwortete er schroff, um gleich darauf zu merken, dass er sich im Ton vergriffen hatte. »Entschuldigen Sie, ich bin nur etwas nervös.«
Er hämmerte noch einmal erfolglos gegen die Tür, wartete, setzte sich auf die Treppe und wollte sich eine Zigarette anstecken, als Miranda Stauffer sagte: »Im Treppenhaus ist Rauchen verboten. Sie können ja mit zu mir kommen, dort würde ich eine mit Ihnen rauchen.«
»Ich muss auf meine Kollegin warten, aber danke für das Angebot. Ich geh am besten vor die Tür. Kommen Sie doch mit, oder ist das nicht Ihre Marke?«, fragte er und hielt die Schachtel hoch.
»Gerne.«
Während sie rauchten, fragte Hellmer: »Seit wann wohnen Sie hier?«
»Seit ein paar Wochen, aber das hab ich doch eben schon ...«
»Natürlich, ich bin nur durcheinander. Sind Sie aus Frankfurt?«, fragte er und musterte die kleine junge Frau mit den kurzen blonden Haaren, den braunen Augen und der feinporigen Haut zum ersten Mal genauer. Sie trug nur ein T-Shirt und Shorts. Eine hübsche junge Frau.
»Nein, aus einem Dorf in der Nähe von Kassel. So klein, dass Sie es garantiert nicht kennen.«
»Und was machen Sie hier?«
»Ich bin Ärztin an der Uniklinik.«
»Ärztin? Ich hätte Sie jünger geschätzt«, bemerkte Hell-mer.
Sie lächelte. »Das tun die meisten. Wenn ich in die Disco gehe, werde ich sogar häufig nach meinem Ausweis gefragt. Es ist manchmal ein bisschen lästig.«
»Und was für eine Ärztin sind Sie?«
»Ich arbeite auf der Kinderkrebsstation.«
»Geht einem das nicht furchtbar nahe, wenn man sieht, wie die Kleinen dahinsiechen? Ich hatte einen Kollegen, der seine Tochter dort ganz langsam verloren hat. Die Kleine hatte Leukämie. Er hat sich nicht lange danach das Leben genommen, was aber auch noch andere Ursachen hatte. Ganz ehrlich, ich könnte dort nicht arbeiten.«
»Es ist alles eine Frage der Einstellung. Was machen Sie bei der Polizei?«
»Mordkommission, genau wie Frau Durant.«
»Sehen Sie, das wiederum könnte ich nicht. Sie müssen doch bestimmt des Öfteren zu Menschen fahren und ihnen mitteilen, dass ein Angehöriger einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist?«
»Natürlich, das gehört zu unserem Job.«
»Das ist der Unterschied, ich erlebe, wie die Kinder über Wochen oder Monate sterben und die meisten von ihnen den Tod als etwas Natürliches sehen. Oder ich sehe, wie sie wieder gesund werden. Ich begleite die Kinder und die Eltern, das ist etwas völlig anderes.«
»Mag sein«, entgegnete Hellmer nur, der sich zunehmend Sorgen um Julia machte und sich nicht weiter über das Leben und den Tod unterhalten wollte. Nicht jetzt, nicht in dieser beängstigenden Situation. Es war nicht ihre Art, ihn zu versetzen, es war nicht ihre Art, überhaupt jemanden zu versetzen. Ihr Wort hatte bisher immer gegolten, wenn auf jemanden Verlass war, dann auf sie. Er war so nervös, dass er sich gleich eine weitere Zigarette ansteckte, auf die Uhr sah und dachte, wann kommt Doris bloß endlich.
Endlich sah er ihren Wagen um die Ecke biegen, Doris blieb direkt vor ihm stehen. Kullmer war bei ihr.
Noch im Aussteigen fragte er: »Was ist los?«
»Wenn ich das wüsste, hätte ich nicht angerufen. Darf ich kurz vorstellen, Frau Stauffer, sie wohnt hier im Haus. Irgendetwas stimmt nicht, Julia scheint nicht da zu sein, obwohl wir ausgemacht hatten, dass ich sie um halb vier abhole und zum Flughafen bringe.«
»Jetzt mal nicht gleich den Teufel an die Wand …«
»Tu ich nicht, ich will nur sehen, ob ihre Sachen noch da sind oder … Sagen Sie, haben Sie Frau Durant heute schon gesehen?«
Miranda Stauffer schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Okay, lasst uns nach oben gehen. Frau Stauffer, vielen Dank für Ihre Hilfe, aber …«
»Schon gut, ich kenne das aus Kriminalfilmen«, sagte sie und verabschiedete sich.
»Nein, nein, so war das nicht gemeint, es könnte nur sein, dass wir uns nachher noch mal bei Ihnen melden.«
»Was geht in deinem Kopf vor?«, fragte Seidel, als
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