Mörderische Tage
Kirchenlieder, von denen sie viele auswendig kannte. Franziska Uhlig sang sich in den Schlaf.
Dienstag, 14.30 Uhr
Das Telefon klingelte, als Berger gerade aus der Kantine zurückkehrte. Er nahm den Hörer ab und meldete sich.
»Hm, okay«, sagte er, wobei seine Miene zunehmend düsterer wurde, und notierte eilig einige Stichworte. Nachdem er aufgelegt hatte, rief er sofort seine Beamten herbei, die seit dem Morgen mit dem Aufarbeiten von Akten beschäftigt waren, da der Fall Jacqueline Schweigert vorübergehend ruhen musste, bis das Obduktionsergebnis der Rechtsmedizin vorlag. Prof. Bock hatte versprochen, es bis spätestens Mittwochvormittag durchzugeben.
»Hier«, sagte Berger und reichte Julia Durant die Notiz. »Eine Franziska Uhlig wird seit heute Vormittag vermisst. Sie ist Lektorin im Bruckheim Verlag und sollte eigentlich um neun bei einer wichtigen Besprechung anwesend sein. Man hat vergeblich versucht, sie telefonisch zu erreichen. Nachdem eine Verlagsmitarbeiterin zu Frau Uhligs Wohnung gefahren war, sah sie zwar ihren Wagen vor dem Haus stehen, aber selbst auf mehrmaliges Klingeln wurde ihr nicht geöffnet. Vor einer halben Stunde wurde dann das 17. Revier verständigt, die aber auch nichts ausrichten konnten. Jetzt sind Sie dran.«
»Wie alt?«
»Frau Durant, die Details herauszufinden überlasse ich Ihnen. Ich habe nur die Meldung entgegengenommen. Sie und Herr Hellmer fahren zum Verlag, Frau Seidel und Herr Kullmer zu Frau Uhligs Wohnung. Noch Fragen?« Dabei sah er die Kommissare mit einem Blick an, als erwartete er, dass sie sofort aus dem Büro stürmten und sich an die Arbeit machten.
»Er hat sich ein neues Opfer gesucht«, murmelte Durant.
»Das, liebe Kollegin, wird sich noch herausstellen. Ich bin Optimist und gehe erst einmal davon aus, dass sich die Sache als harmlos erweist.«
»Ihr Optimismus in allen Ehren, aber das sind mir ein paar Vermisste zu viel in letzter Zeit«, erwiderte Durant, ohne sich von der Stelle zu rühren. »Er verschärft sein Tempo, das sagt die Realistin in mir. Und spielen Sie nicht den Coolen, das steht Ihnen nicht. Ich weiß doch, dass Sie genauso denken wie ich. Tut mir leid, was ich eben gesagt habe, ich hab's nicht so gemeint, Chef.«
Berger sah Durant direkt in die Augen und nickte kaum merklich. »Ich weiß. Gehen Sie und finden Sie diese Frau Uhlig. Und ich hoffe inständig, dass Sie unrecht haben.«
Während sie auf den Aufzug warteten, sagte Kullmer: »Er hat es wieder getan. Berger hasst es, wenn die Dinge aus dem Ruder laufen. Und das tun sie ganz gewaltig.«
Julia Durant holte tief Luft und entgegnete mit einem Hauch von Resignation in der Stimme: »Das ist schon längst passiert. Wer immer dieser Mistkerl ist, er ist verdammt clever, auf jeden Fall cleverer als wir. Ich möchte wetten, diese Franziska Uhlig ist irgendwo zwischen zwanzig und Mitte dreißig und passt in das Opferprofil.«
»Welches Profil?«, meinte Hellmer, ohne eine Miene zu verziehen. »Wir haben bis jetzt keins ausmachen können.«
»Es gibt aber eins, wir sehen es nur noch nicht. Es ist wie ein Puzzle, das wir zusammensetzen müssen. Es gibt Gemeinsamkeiten zwischen den Opfern, auch wenn wir bis jetzt nur wenige gefunden haben. Es muss Gemeinsamkeiten geben, wir haben sie bisher nur übersehen.«
»Dann mal viel Spaß beim Puzzeln. Ich gehe eher davon aus, dass er sich seine Opfer wahllos aussucht. Er sieht sie irgendwo, beobachtet sie eine Weile, lernt ihren Tagesablauf kennen und schlägt bei passender Gelegenheit zu. So sehen es auch unsere Psychologen.«
»Ich pfeif auf die Meinung unserer Psychologen, ich vertraue meiner Intuition oder meinem Instinkt oder was immer. Warten wir auf Holzer, was er dazu meint«, sagte Durant, als sie unten angekommen waren. »Leider bin ich dann schon in Südfrankreich«, fügte sie bedauernd hinzu.
»Ich wäre zumindest am Anfang gern dabei gewesen. Aber na ja, es soll halt nicht sein.«
»Komm bloß nicht auf dumme Gedanken, du weißt, was ich dir angedroht habe«, sagte Hellmer und deutete mahnend mit dem Finger auf sie. Früher hätte er sie angelächelt oder jungenhaft gegrinst, doch seit einiger Zeit schien er es verlernt zu haben. Er war ein mürrischer, in sich gekehrter Mann geworden, der gar nicht mehr lachte, höchstens einmal zynisch grinste. Durant glaubte den Grund teilweise zu kennen, aber sie verstand trotzdem nicht, warum Hellmer sich ausgerechnet ihr gegenüber so abweisend verhielt.
»Was hast du ihr
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