Mörderische Tage
eigentlich können die Tabletten noch gar nicht wirken, es dauert etwa zehn bis vierzehn Tage, bis die volle Wirkung eintritt«, wandte Alina Cornelius ein.
»Nein, ich glaube, es sind auch nicht die Tabletten, sondern die Tatsache, dass meine Frau sich gemeldet hat. Sie hat mich am Montagabend angerufen, und wir haben uns gestern getroffen. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie erleichtert ich bin. Da bin ich bei Ihnen und jammere Ihnen die Ohren voll, dann fahre ich nach Hause, und kaum angekommen, klingelt auch schon das Telefon, und Diana ist dran. Sie können sich nicht vorstellen, was für ein Gefühl das war, ihre Stimme zu hören.«
»Doch, ich denke, ich kann es. Und was ist mit Ihren Angstzuständen und Depressionen?«
»Im Moment wie weggeblasen. Wir haben uns gestern ausgesprochen und …« Er wandte den Kopf zur Seite und wischte sich verstohlen ein paar Tränen aus den Augen. »Entschuldigung, ich bin nur etwas durcheinander. Wir haben ein paar Missverständnisse aus der Welt geräumt. Sie hat keinen anderen, sie brauchte nur eine Auszeit …«
»Wenn ich Sie unterbrechen darf, aber haben Sie Ihrer Frau Vorwürfe gemacht?«
»Nein, nicht ein Wort. Ich brauche sie, die Kinder brauchen sie, ohne sie ist das Haus leer. Jeden Morgen und jeden Abend haben sie gefragt, wann Mama wiederkommt, und ich musste ihnen ständig Lügen erzählen. Aber das ist jetzt vorbei. Mir ist gestern bei unserem Gespräch so richtig klar geworden, was für ein egoistischer Idiot ich all die Jahre über gewesen bin. Ich habe immer nur an mich gedacht und dabei übersehen, dass Diana schon seit langem nur noch still gelitten hat. Ich habe in den vergangenen Jahren zu viel gearbeitet, und sie fühlte sich in jeder Beziehung vernachlässigt. Sie hat aber beteuert, dass sie mich nie aufgehört hat zu lieben und auch die Kinder über alles liebt.«
Er machte eine Pause, stand auf und ging zum Fenster und sah hinaus.
»Wo ist sie jetzt?«
»Wieder zu Hause. Sie hat mir versichert, dass sie keinen Liebhaber hatte oder hat, sie wollte auch nie aus der Ehe ausbrechen. Und ich habe ihr versprochen, mich in Zukunft mehr um sie zu kümmern und weniger zu arbeiten. Die Familie ist für mich das Wichtigste, ich kann mir ein Leben ohne meine Frau und die Kinder nicht vorstellen.«
»Wo war Ihre Frau?«
»In einem Hotel an der Nordsee. Sie sagte, sie musste viele Dinge überdenken und zu sich finden. Natürlich hat sie auch mit dem Gedanken gespielt, sich von mir zu trennen, aber … Ich bin einfach nur froh, sie wieder bei mir zu haben.«
»Und Ihre Angstzustände und Depressionen?«
»Die hingen doch mit dem Verschwinden meiner Frau zusammen«, betonte Jung. »Es gibt keine Angstzustände und Depressionen mehr. Sie ist der Sonnenschein und das Licht, das ich brauche, nur ist mir das erst jetzt bewusst geworden. Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe.«
»Ich habe bis jetzt nichts getan«, entgegnete Alina Cornelius. »Es waren ja eigentlich noch einige Sitzungen geplant.«
»Falls es um das Geld geht, vergessen Sie es«, sagte Jung lachend und setzte sich wieder. »Ich bin froh, dass ich zu Ihnen gekommen bin und mit Ihnen sprechen durfte. Danke für alles.«
»Sie brauchen mir nicht zu danken, es hat sich zum Glück alles von selbst geregelt. Ich wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute. Und gehen Sie auf die Bedürfnisse Ihrer Frau ein, sprechen Sie miteinander, auch wenn es hin und wieder nicht leicht ist, aber Schweigen kann tödlich sein für eine Beziehung.«
»Ich fahre dann jetzt nach Hause, denn ich möchte meine Frau und die Kinder nicht zu lange warten lassen. Vielleicht sehen wir uns ja irgendwann mal wieder«, sagte er und stand auf.
»Sie wissen ja, wie Sie mich erreichen können«, sagte Alina Cornelius und begleitete Jung zur Tür. Dort fragte sie: »Eins würde mich aber interessieren: Warum haben Sie sich das Antidepressivum verschreiben lassen …«
Er zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Meine Frau ist ab sofort mein Antidepressivum. Tschüs und vielleicht bis
bald.«
»Tschüs.«
Alina Cornelius schloss die Tür hinter Jung und machte ein nachdenkliches Gesicht, als sie zurück ins Behandlungszimmer ging. Irgendetwas irritierte sie, ohne dass sie zu sagen vermocht hätte, was es war. Sie schenkte sich eine Tasse Tee ein und trank in langsamen Schlucken. Na ja, dachte sie, das Leben ist manchmal schon verrückt.
Sie räumte ihren Schreibtisch auf, machte das Notebook aus und ließ die Rollläden
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