Mörderischer Auftritt
Ich schob meinen Stuhl so schnell zurück, dass Schwesterherz und Muffin überrascht aufschauten. »Menschen haben keine Innereien.« Ich schnappte mir meinen Teller und stellte ihn in die Spülmaschine. »Innereien nennt man das, was in den Plastikbeuteln ist, die sie den tiefgekühlten Hühnchen hinten reinstecken.«
»Meine Güte. Sei nicht so gereizt. Vielleicht hat Virgil es ja im metaphorischen Sinne gemeint.«
»Im metaphorischen Sinne?« Hätte ich nicht so viel Wut in mir gehabt, wäre ich beeindruckt gewesen. Stattdessen fragte ich: »Für welche Metapher um Himmels willen sollen Innereien stehen?«
»Für ein wichtiges Organ, ohne das er nicht auskommt. Warum bringt dich das denn so auf die Palme?«
»Darum.« Ich griff nach der Kaffeekanne. »Weil wir gestern gut gelaunt im Alabama Theatre saßen und einem Haufen Elvis-Darsteller beim Tanzen zugesehen haben. Weil einer, der Griffin Mooncloth hieß – und ich glaube keine Minute, dass der Name echt ist – und den keiner kannte, vor unserer Nase umgebracht wurde und weil Virgil die Sache einfach damit abtut, indem er sagt, man habe ihm die Innereien rausgeschlitzt.« Ich zeigte auf die Tasse meiner Schwester. »Möchtest du noch was?«
Sie nickte. »Hast du dein Östrogen heute schon genommen?«
Ich ignorierte diese Bemerkung und goss den Kaffee ein. »Ich habe letzte Nacht nicht viel geschlafen.«
»Musst du auch nicht.«
Ich sank auf den Stuhl zurück. Muffin sprang von Schwesterherz herunter auf meinen Schoß. Daraufhin fühlte ich mich schon besser. Ich kraulte ihren Kopf mit der einen Hand, und mit der anderen langte ich nach dem Zucker.
»Ich weiß nicht. Es ist einfach so, dass ich sein Gesicht sah und es mich die ganze Nacht nicht losgelassen hat.« Ich rührte meinen Kaffee um. »Wie haben sie denn seinen Namen herausgefunden, wenn niemand ihn kannte? In diesem Overall war mit Sicherheit kein Platz für eine Brieftasche.«
»Dusk Armstrong kannte ihn. Es stellte sich heraus, dass er ein alter Freund von ihr war. Virgil sagt, sie hätten alle Mitwirkenden der Show gebeten dazubleiben, um zu sehen, ob ihn jemand identifizieren könne. Sie war die Einzige, dieihn kannte. Sie studiert Tanz in New York und sagt, er sei in ihrer Klasse gewesen.«
»Er war aus New York?«
Schwesterherz nickte.
Ich dachte an die Silhouette von Dusk vor dem Mond am vergangenen Abend. Wie schön sie gewesen war. Gott, ich hoffte, dass sie mit dieser Geschichte nichts zu tun hatte.
Es klopfte an der Hintertür. Mitzi Phizer streckte ihren Kopf herein, der in der Kapuze eines Regenmantels steckte. »Hallo«, sagte sie. »Ich habe dein Auto gesehen, Mary Alice, und dachte, ich erfahre vielleicht, was gestern Abend im Alabama Theatre passiert ist. Ich habe in den Nachrichten gehört, dass einer der Mitwirkenden auf der Bühne zu Tode gekommen ist.«
»Er ist in den Orchestergraben gestürzt«, sagte Schwesterherz.
»O mein Gott!« Mitzi schüttelte Regentropfen aus ihren grauen Locken.
»Aber er war schon vorher tot.« Schwesterherz blickte zu mir. »Jemand hat ihm ein lebenswichtiges Organ entfernt.«
»Was?«
Ich stand auf, nahm Mitzis Regenmantel und hängte ihn an die Tür neben den von Schwesterherz. Es regnete jetzt so stark, dass das Wasser vom Mantel auf den Boden tropfte. Mich überkam plötzlich die Erinnerung an die Garderobenräume an der Lakeview School, ich konnte sogar die Feuchtigkeit der Mäntel und der Gummischuhe riechen, die Wurstbrote in den Mickimaus-Brotdosen. Verdammt. Ich schüttelte den Kopf, der, wie ich feststellte, dumpf pochte. Ich spürte die Beule vom vorgestrigen Tag, als ich gegen das Abflussrohr geknallt war. Brauchte eine Gehirnerschütterung achtundvierzig Stunden, um sich als solche bemerkbar zu machen?
»Wir hatten Plätze in der ersten Reihe, und er brach direkt vor uns zusammen«, sagte Mary Alice. »Er war einer der Elvis-Darsteller.«
Mitzi setzte sich an den Tisch. »Und jemand hat ihn umgebracht?«
»Er war mausetot.«
Ich nahm die Kaffeekanne hoch. Mitzi bedeutete, dass sie keinen wolle.
»Wer war er?«, fragte sie.
Schwesterherz war begeistert, die Geschichte noch einmal erzählen zu können. Ich lehnte mich an den Küchentresen und lauschte. Der Regen, der auf die Dachfenster schlug, klang laut. Mir war kalt.
»Meine Güte«, sagte Mitzi. »Dusk Armstrong? Bernice’ Jüngste?«
Ich nickte. »Dawn, Day und Dusk. Die Gute.«
»Bernice hätte ein besseres Gespür haben sollen«, sagte Mary Alice. Sie
Weitere Kostenlose Bücher