Mörderisches Musical
Lektüre verraten.
»Du bist eine wandelnde Annonce«, sagte sie, als
sie auf ihn zuging.
»O Wetzon.« Er wurde rot und ließ die
Zeitschrift fallen, als hätte sie ihn mit einem Pornoheft ertappt. »Ich...
hm...«
Wetzon fragte sich, was mit ihm los war. Er sah
verteufelt schuldbewußt wegen irgend etwas aus. Wüßte sie es nicht besser,
würde sie auch ihn auf die Liste der Verdächtigen in den Fällen Dilla und Sam
setzen.
Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für
bohrende Fragen. Sie hatte keine Lust dazu, und außerdem kam Artie Agron gerade
von der Madison in die Halle, ein kleiner, drahtiger Mann in grauem
Trainingsanzug, eine Mets-Kappe auf dem krausen Haar und einen großen
Aktenkoffer in der Hand. Er hatte sich nicht rasiert und sah so anrüchig aus,
daß ein Sicherheitsangestellter ihn nach seinem Ausweis fragte. Du lieber Gott,
dachte Wetzon, was diese Männer sich unter heimlich vorstellen.
»Ich möchte wissen, was in die gefahren ist«,
murrte er, als er Wetzon die Hand gab. »Ich komme jeden Tag herein.«
»Aber bestimmt nicht unrasiert und mit
Baseballmütze. Artie, das ist mein Geschäftspartner B. B., kurz für Bailey
Balaban.«
»Sind Sie mit dem Supermarkt-Typ verwandt? Er
ist ein Kunde von mir.«
»Nein.« B.B. schüttelte ihm die Hand. »Ich habe
einen Copy-Shop an der Lexington gefunden, der das alles erledigen wird. Wir
müssen die Sachen nur rüberbringen.«
»Okay, so habe ich es mir vorgestellt.«
Ungeachtet der Tatsache, daß sie in einem Nichtraucherbereich standen, zündete
Artie eine Zigarette an und kehrte dem Sicherheitsmann den Rücken. »Ich und
Balaban gehen nach oben ins Büro. Wetzon, Sie warten hier, damit Balaban Ihnen
etwas zustecken und wieder hinauffahren und mehr holen kann. Wenn niemand oben
ist, können wir schneller vorgehen.« Er betrat den Aufzug mit brennender Zigarette.
Wenn er die Vorschriften schon bei den kleinen Dingen nicht befolgte, wie
verhielt er sich dann bei den wichtigen? dachte Wetzon, während sie ihm und
B.B. nachsah. Sie wartete in der Nähe des Fensters zur Madison hin. Schirm
stritt mit Schirm um ein Stück vom Bürgersteig; bestimmt würde irgendjemand
einen Stab ins Auge bekommen. Regen hielt die Leute nie vom Einkaufen ab. B. B.
und Artie traten aus dem Aufzug.
»Zwei Neue sind oben, aber sie sind so damit
beschäftigt, hinter dem Papierkram herzukommen...« Artie trug seinen
Aktenkoffer, der nicht mehr zuging, und B. B. folgte mit zwei Einkaufstüten und
einer vollgestopften Sporttasche vom New York Athletic Club über der Schulter.
Es mußte seine eigene sein. Wetzon konnte sich nicht vorstellen, daß sie Artie
näher als drei Meter an den NYAC herankommen ließen.
»Drei, vielleicht vier Gänge, Wetzon«,
verkündetete B. B.
Sie ging mit ihnen auf die Straße. Der Regen
fiel schräg. »Wollt ihr, daß ich hier herumhänge?« Ihre Anwesenheit war als
Sicherheit nötig gewesen, bis er seine Bücher hatte. Jetzt würde er sie nicht
mehr brauchen.
»Nee. Wir schaffen das, richtig, Junge?«
B. B. nickte, dann blieb er ein wenig zurück.
»Wetzon, kann ich etwas mit dir besprechen?«
»Jetzt?«
»Nein, nein, ich meine am Montag.«
»Smith ist am Montag zurück.«
»Nein, nicht mit Smith. Mit dir. Privat.« Er war
sehr ernst.
»Kommen Sie?« Artie wurde nervös — und naß. Er
hatte sich nicht mit einem Schirm belastet.
»Klar, B.B. Geh jetzt. Wir können uns am Montag
nach der Arbeit zu einem Drink zusammensetzen, wenn du willst.« Sie tätschelte
seinen Arm. Wurde sie mütterlich oder was?
»Danke, Wetzon.«
Irgend etwas war da jedenfalls im Busch. Sie
überlegte, ob Harold, ihr ehemaliger Mitarbeiter, B. B. weggelockt hatte, um
bei ihm und Tom Keegen zu arbeiten. Smith würde platzen.
Bedenke, sagte sich Wetzon, daß nichts jemals
endgültig ist. Abgesehen vom Tod. Sie spannte den Schirm auf und schlängelte
sich auf der Madison stadtauswärts durch, bis sie schließlich etwa an der 70.
Street das Gedränge hinter sich ließ. Die Geschäfte hatten alle
Schlußverkaufsschilder in den Fenstern, aber obwohl Wetzon ab und zu
stehenblieb, sah sie eigentlich nichts als ihr Spiegelbild.
Sie war davon überzeugt, daß Susan mit nach
Boston kommen würde, wenn Mort bereit wäre, die Ankündigung zu ändern. Wenn er
sie als Songtextautorin erwähnen würde. Wer würde sich darüber beklagen? Sams
Agent oder Anwalt? Sam war tot. Es lag nur im Interesse des Agenten oder
Anwalts, daß die Show zustande kam.
St. Ambroeus war
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