Mörderisches Musical
Bibel und die Handtasche. Ihr Gesicht war grau. Izz
wurde lebendig und tänzelte um die alte Frau herum. »Du, Mädchen«, sagte Rhoda,
während sie mit einem knotigen Finger auf den Hund zeigte, der hochsprang und
daran leckte, »jetzt benimmst du dich.« Ihre tränennassen Augen begegneten
Wetzons Blick. »Gott hab’ sie selig, sie haben Izz verdorben. Sich
vorzustellen, die ganze Liebe einem Tier zu schenken, wo es so viele Kinder...«
Sie zuckte die Achseln. »Ich werde nach Hause gefahren.« Sie deutete auf den
Uniformierten.
»Was wird aus Izz?«
»Oh, Sie werden sie nehmen müssen, Miss. In
meinem Haus sind Hunde nicht erlaubt.«
Izz schaute zu ihnen auf, neigte den Kopf von
der einen zur anderen Seite, als verstünde sie, daß sie von ihr sprachen.
»Ich habe nicht einmal Hundefutter. Ich hatte
gar nicht vor, nach Hause zu gehen...« So ein Mist, dachte Wetzon.
»Sie frißt Trockenfutter. Oben steht ein großer
Sack. Bitten Sie die Officers, Ihnen den zu geben.«
Izz unternahm einen halbherzigen Versuch, Rhoda
zu folgen, blieb stehen, drehte sich nach Wetzon um. Sie schien zu dem Schluß
zu kommen, daß Wetzon der bessere Trottel sei.
Die Halle war plötzlich voll von Menschen.
Wetzon konnte nicht atmen. Sie riß die Baskenmütze
herunter und stopfte sie in ihre Tasche. Ihr Herz klopfte so drängend, daß sie
es mit der Angst bekam. Luft. Sie mußte Luft schnappen. Also hob sie Izz hoch
und schlängelte sich hinaus auf die Straße durch. Niemand hielt sie auf. Ein
Uniformierter war vor dem Gebäude postiert und beobachtete gleichgültig die
Menge der Schaulustigen, die sich versammelt hatte. Zahme Streikende mit ihren
Plakaten tauschten mit einigen Leuten, die dem Treiben zusahen, Informationen
aus.
Zwei Streifenwagen mit drehenden farbigen
Lichtern standen zwischen den in zweiter Reihe geparkten Autos, und es waren
ziemlich viele, weil Samstag immer noch ein Tag war, an dem man nur auf der
einen Straßenseite parken durfte. Stimmen von Einsatzleitern kamen knackend aus
Polizeifunkgeräten.
» Ein Männlein steht im Walde ganz still und
stumm, es hat von lauter Purpur ein Mäntlein um ...« Sie stand mit vier weiteren Studentinnen im
ersten Semester in einer Reihe, jede mit einem riesigen Namensschild um den
Hals. Man befahl ihnen zu singen. » Ein Männlein steht im Walde ...«
Das Mädchen neben ihr zischte: »So was
Albernes.« Auf ihrem Namensschild stand Susan Cohen.
»Singt«, kommandierte die Studentin im zweiten
Jahr. Susan Cohen und Leslie Wetzon grinsten sich an und zuckten die Achseln,
und sie sangen: » Ein Männlein steht im Walde ganz still und stumm, es hat
von lauter Purpur ...«
Wetzon stand auf dem Bürgersteig und atmete tief
die feuchte Luft ein. Izz begann sich zu winden, und sie setzte sie in den
Rinnstein zwischen einen weißen Acura und einen schwarzen BMW. Ihre Knie
zitterten heftig. Sie setzte sich auf den Bordstein, kauerte auf dem engen
Platz zwischen den beiden Autos, zog fröstelnd den Pelzmantel zusammen. Vor
ihrem Stiefel lag ein Kondom neben einem Cent — Kopf nach oben, das bringt
Glück — und einem schmutzigen weißen Kindersöckchen. Izz versuchte, auf ihren
Schoß zu krabbeln, aber Wetzon hatte die Arme um die Knie gelegt.
Wenn sie sich klein genug machte, würde sie
vielleicht nicht sterben.
Irgendwo in der logischen Hälfte ihres Hirns
wußte Wetzon, daß sie einen Anfall von Panik hatte, doch es war wie eine Fahrt
in der Achterbahn. Sie konnte nicht anhalten.
Weg von hier, drängte eine Stimme. Lauf! Lauf um dein Leben!
Sie nahm Izz in die Arme und stand auf, mußte
sich einen Moment auf den Acura stützen, dann trat sie auf die Straße und
entfernte sich von Susans Haus.
Als sie die Fifth Avenue erreichte, begann sie
zu laufen.
Wetzon
kam in der Nähe des Museums für Naturgeschichte aus dem Central Park, ohne
zu wissen, wie sie dorthin gelangt war. Die Central Park West wurde gerade neu
asphaltiert, weshalb für beide Richtungen nur eine Fahrbahn zur Verfügung
stand. Sie wußte, daß ungeduldige Fahrer, die darauf warteten, bis ihre Spur an
die Reihe kam, auf den Hupen liegen mußten, doch ihr Herz hämmerte so laut in
ihren Ohren, daß alles andere ausgesperrt war.
Eine Stimme keifte sie an: »Sie da, sind Sie
taub?«
Sie blieb stehen. Eine alte Frau in einem
braunen Regenmantel, der bessere Tage gesehen hatte, sagte: »Sie sollten Ihren
Hund lieber an die Leine nehmen, Miss, sonst wird er noch überfahren.«
Hund? Sie blickte nach
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