Mörderisches Musical
anders das jetzt war.
Die Theaterwelt, zu der sie gehört hatte, war so sexuell gewesen. Nicht sexy,
sondern sexuell. Alle taten es. Und wenn sie es nicht taten oder zu tun
planten, dann dachten sie daran, es zu tun. Die Feuerleitern an den schäbigen
Hotels waren nach Proben oder Aufführungen verstopft. Die Partner wechselten
häufig. Verheiratet in New York, bedeutete frei unterwegs. Es war, als machte
Kreativität jedermann scharf.
Verglichen damit war ihr die Wall Street, wo
Geld und Macht der Sex waren, wo die Leute auf das nächste Geschäft, die
nächste Eroberung, nicht auf den nächsten Körper scharf waren, langweilig
erschienen, als sie den Beruf wechselte.
Jetzt jedoch ging es unterwegs zahm zu.
Umsichtig. Aids hatte alle ängstlich gemacht. Spontaneität hatte ausgedient.
Selbst Safer-Sex war nicht mehr sicher. Sie ging über den Flur zu ihrem Zimmer.
Wo hatte sie den Schlüssel vergraben? Sie
durchsuchte ihre Taschen, dann die Handtasche. Er lag ganz zuunterst, unter dem
Make-up-Täschen. Sie steckte ihn ins Schloß, drehte ihn und stieß die Tür auf.
Das Licht auf dem Flur warf einen Streifen in
das dunkle Zimmer. Hatte sie nicht alle Lampen brennen lassen? Du meine Güte,
war das Ritz dazu übergegangen, mit einem Zeitschalter oder so etwas die
Lichter zu löschen?
Sie schloß die Tür und tastete an der Wand nach
dem Lichtschalter. Dann hielt sie inne. Etwas Weiches lag da auf dem Boden...
Sie suchte nach dem Türgriff. Am zweiten Bett bewegte sich etwas kaum merklich,
eine Verschiebung der Schatten.
Sie erstarrte. Jemand befand sich mit ihr im
Zimmer.
Obwohl
Wetzon zuviel Wein getrunken hatte und vor Müdigkeit benebelt war,
riß sie die Tür zum Flur auf und knipste im Hinausgehen die Deckenlampen an.
»Erwischt«, sagte sie leise.
»Huch! Um Himmels willen!«
Wetzon sprang ins Zimmer zurück und schlug die
Tür zu. In einem weißen seidenen Nachthemd saß Smith auf dem zweiten Bett und
rieb sich die Augen.
»Smith! Verdammt. Was machst du denn hier? Und
in meinem Bett!« Sie bemerkte sofort, daß ihre sämtlichen Sachen durcheinander
auf dem Bett lagen, das sie dazu benutzen wollte, ihre Kleider auszubreiten.
»Nicht zu glauben, daß du mich aus tiefstem
Schlaf weckst, um mich das zu fragen«, nörgelte Smith, eine Hand schützend über
die Augen haltend. »Mach das Licht aus.«
Wetzon schaltete die Lampe auf der Kommode an
und bemerkte, daß Smith ihre Siebensachen auf der Schreibtischplatte
ausgebreitet hatte. Sie knipste das Deckenlicht aus. »Wie, wenn ich mir die
Frage erlauben darf, hast du dir vorgestellt, soll ich ins Bett kommen?« Sie
begann, ihre Kleider aus dem Stapel auf dem Bett auszusortieren und spürte
dabei Smith’ Blick im Rücken.
Es waren keine Bügel mehr für Wetzons Kleider
frei. »Himmel, Arsch und Wolkenbruch!« Mit einem Tritt schlug sie die
Schranktür zu.
»Zuckerstück, also wirklich. Ich dachte, du
wärst über Nacht aus.«
»Und bei wem sollte ich wohl sein, kannst du mir
das bitte verraten?«
Smith zog graziös die fabelhaften Schultern
hoch. »Na, es haben doch auch ein paar Leute mit der Show zu tun, die nicht
schwul sind. Einer oder zwei. Zum Beispiel ein Techniker, der ziemlich
attraktiv ist und der verrückt nach dir zu sein scheint...« Sie hatte diese
blasierte Miene aufgesetzt, die Wetzon wahnsinnig machte.
»Wovon redest du, Smith?«
»Walt.« Da war wieder dieser blasierte Blick.
»Walt? Walt Greenow? Wie zum Kuckuck hast du ihn
kennengelernt?« Es war verblüffend, wie schnell sich Smith mit Wetzons
Theaterwelt vertraut gemacht hatte, ebenso mit Wetzons Zimmer im Ritz. »Verrückt nach mir? Lies meine Lippen. Walt Greenow ist nicht verrückt
nach mir. Letzten Samstag sind wir uns zum erstenmal seit zehn Jahren über den
Weg gelaufen.«
»Du verstehst es nie, ein Kompliment anzunehmen.«
Smith’ Ton veränderte sich ein wenig, von zuckersüßem Schmeicheln zu
wehleidigem Gequengel.
»Laß mich in Frieden, ja?« Wetzon durchwühlte
ihren Koffer nach dem extragroßen T-Shirt. »Was machst du überhaupt hier?«
»Ich dachte, wir sollten zu so einer Zeit
zusammen sein.«
Wetzon starrte ihre Partnerin an. Hatte sie das
mit Mark herausbekommen? Nein, unmöglich. Sie wäre am Boden zerstört, wenn das
geschehen wäre. »Ach ja?«
»Außerdem war mein Zimmer im Four Seasons eine Katastrophe.«
»Katastrophe, Schatz? Du weißt nicht, was eine
Katastrophe ist«, sagte Wetzon und bedauerte es sofort. Aber Smith achtete
nicht auf
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