Mörderisches Paradies
widersprach sie und sah ihre Nichte an. “Ich lächele einfach nur … so in die Gegend.”
“Ist ein tolles Wochenende, oder?”, meinte Kim und lugte hinter ihrem Kinomagazin hervor. “Ich dachte ja erst, ich würde mich zu Tode langweilen, aber die Jungs sind wirklich cool.”
“Die Jungs sind viel zu alt für euch”, bemerkte Beth.
“Ach, Tante Beth”, murrte Amber, “das wissen wir doch selbst. Aber können sie nicht trotzdem cool sein?”
“Wir kennen sie doch eigentlich gar nicht.”
“Du hörst dich an wie meine Lehrerin.”
“Genau. Schließlich sollen Lehrer ihren Schülern etwas fürs Leben beibringen.”
Beth stand auf, streckte sich und sah wieder aufs Wasser hinaus. Noch immer waren Lees Jacht und die Schlauchboote kaum zu erkennen. Brad und Sandy turtelten weiter im Wasser herum. Roger schlief.
Einen Moment zögerte Beth, schaute zu Amber und Kim, und dann ging sie zu ihrem Zelt. Auf dem Rückweg ließ sie die kleine Dose Pfefferspray neben Amber fallen. “Wenn euch irgendjemand zu nahe kommt, weißt du, was du zu tun hast.”
Amber starrte zuerst auf das Pfefferspray und dann zu ihrer Tante. “Also echt, Tante Beth. Erwartest du ein Sexmonster, das aus dem Wasser steigt und sich an uns vergehen will?”
“Sei nicht so vorlaut. Ich meine es ernst.”
Amber zwang sich zu einem ernsten Gesichtsausdruck. “Wir nehmen dich ja auch ernst.”
Im Grunde glaubte Beth gar nicht, dass es Probleme geben würde, solange die Jacht auf See war. Daher lächelte sie nur lahm und machte sich auf den Weg.
“Hey”, rief Amber hinter ihr her. “Wo willst du denn hin?”
“Spazieren.”
“Du willst noch mal nach diesem Schädel suchen, stimmt’s?”, bohrte Amber.
“Nein.” Beth kam noch einmal zurück. “Und erzählt nicht rum, dass wir vielleicht einen Schädel entdeckt haben, ist das klar?”
Amber seufzte. “Nein, Tante Beth. Ich meine ja. Wir halten den Mund, okay?”
“Gut. Und schreit aus Leibeskräften, falls irgendetwas passiert.”
“So wie du letzte Nacht?”, spottete Amber.
“Wenn ihr nicht spurt, erzähl ich deinem Vater, dass doch nicht jeder von den Jungs in eurer Theater-AG schwul ist!”
“Machen Sie nur einen langen Spaziergang, Beth. Wir werden uns wie die Engel benehmen und hier sitzen. Mit dem Pfefferspray als Begleitung”, versprach Kim treuherzig.
Kopfschüttelnd machte sich Beth auf den Weg.
Diese Insel war schon ein merkwürdiges kleines Paradies, dachte sie, als sie den Pfad erreichte, der gleich oberhalb ihres Zeltplatzes zwischen Bäumen und Büschen ins Innere der Insel führte. Der Strand war eine Augenweide, das Wasser klar und herrlich. Natürlich gab es weiter unten gefährliche, sogar tödliche Riffs. Aber wenn man sich in der Gegend auskannte und zwischen den Riffs entlangsteuern konnte, erreichte man einen echten Garten Eden. Doch hinter dem Strand veränderte sich der Charakter der Insel. Ein undurchdringliches Dickicht mit gelegentlichen lauschigen Plätzchen und Winkeln, viel Schatten und unglaublichem Grün dehnte sich hier aus.
Sie hatte das immer geliebt.
Bisher zumindest.
Heute schien die ganze Insel sich gegen sie verschworen zu haben. Sie kam von ihrem Pfad ab und wäre fast bis zum anderen Ende der Insel weitergelaufen. Leise fluchend lief sie wieder ein Stück zurück.
Als eine große Stechmücke sich ihren Arm als Beute aussuchte, schlug sie wütend nach ihr und war geradezu erschreckend befriedigt, als sie das Tier erwischte.
Endlich fand sie den Weg zu der Lichtung, auf der sie gestern mit den Mädchen gewesen war.
Wieder glitten ihre Augen suchend über den Boden. Überall schienen welke Palmblätter herumzuliegen.
Waren es gestern auch schon so viele gewesen? Beth versuchte sich zu erinnern, wo genau sie gestanden hatten.
Und von wo Keith Henson zwischen den Bäumen aufgetaucht war.
Weil so viele Palmfächer auf der Lichtung lagen, beschloss sie, einen nach dem anderen hochzuheben.
Als sie vor dem vierten Blatt stand, hörte sie Schritte.
Es war noch jemand auf dem Weg zur Lichtung.
Sie unterbrach ihre Arbeit und lauschte. Sobald sie herausgefunden hatte, aus welcher Richtung die Geräusche kamen, lief sie schnell über die Lichtung in Richtung Wald. Im Schutz der Bäume fuhr sie herum, aus Angst, wer immer auf die Lichtung kam, könnte sie noch gesehen haben.
Durch die Bäume hindurch sah sie etwas aufblitzen.
Sie kniff die Augen zusammen und schluckte. Wer auch immer da näher kam, hatte ein Messer bei
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