Mörderspiel
Gehilfinnen hatten in ihren Zimmern in der Mansarde Camys Schreie eindeutig nicht mitbekommen. V.J., Tom, Susan und Brett hatten sie offenbar verschlafen.
Camy, die langsam wieder zu sich kam, begann erneut zu schreien. Sabrina kniete sich vor sie hin, während die beiden Männer Camy stützten. „Camy, Camy!“ sprach Sabrina sie beruhigend an und berührte ihr Gesicht. „Es ist alles in Ordnung. Das war kein Geist. Es ist nur Dianne. Sie hat uns einen Streich gespielt.“
„Das war kein Streich!“ protestierte Dianne. „Also schön, vielleicht war es einer. Aber ich wollte nicht gemein oder grausam sein. Ich wollte nur herausfinden, wer von euch meine Mutter genug gehasst hat, um sie zu töten.“
„Mutter!“ stöhnte Joe auf, und es klang, als wäre er am Ersticken.
Jon ging durch den Raum zu Camy und strich ihr übers Haar. „Alles in Ordnung mit Ihnen?“ fragte er sanft.
Camy nickte. Sabrina sah ihn vorwurfsvoll an, ehe sie sich erhob und Camy beim Aufstehen half. Jon erwiderte ihren Blick, bot jedoch keine Entschuldigung an.
„Mutter?“ krächzte Joe erneut.
Anna Lee begann zu lachen. „Das ist ja einfach köstlich. Stimmt das?“
„Ja“, bestätigte Jon und ging zu Dianne zurück. Sein Zorn hatte sich nicht gelegt, er beherrschte ihn jedoch. „Cassie bekam Dianne in sehr jungen Jahren. Und sie wollte nicht öffentlich zugeben, dass sie heute bereits eine erwachsene Tochter hatte.“
„Du wusstest es die ganze Zeit?“ fragte Joshua und sah Jon an.
Der nickte. „Ich dachte, du hättest es auch gewusst. Ich dachte, es wäre für dich offensichtlich gewesen, als du die Wachsfiguren gestaltet hast.“ Achselzuckend fügte er hinzu: „Cassie und Dianne hatten mich gebeten, nichts zu sagen. Jede hatte ihre eigenen guten Gründe dafür. Und ich respektierte sie. Aber Dianne hat offenbar ihre Meinung geändert.“
Er stand vor Dianne und sah sie finster an.
„Aber… ich dachte, du hast Cassie verabscheut!“ sagte Joe zu Dianne.
„Das habe ich auch“, bestätigte sie und begann zu lachen. Doch bald strömten ihr Tränen über die Wangen. „Ich habe ihr vorgeworfen, dass ihr Aussehen, Jugendlichkeit und Image zu viel bedeuteten. Mehr jedenfalls als ich. Ich wollte euch in dem Glauben lassen, dass ich sie hasste, weil ich nur dann hoffen konnte, dass ihr offen mit mir über sie sprecht. Ich wollte erfahren, was ihr denkt und fühlt. Aber sie war meine Mutter. Und seit sie mit Jon zusammen war, machte er ihr klar, dass ich ihr Kind bin. Sie begann sich für mich und meine Arbeit zu interessieren. Wir waren wie zwei Verschwörer, die ihr Image von Jugendlichkeit und Schönheit bewahrten. Sie konnte grässlich und gemein sein, aber oft war sie auch liebevoll… und… und letztlich ist es gleichgültig, denn sie war meine Mutter. Und einer von euch hat sie umgebracht!“
Jon schlang einen Arm um sie. Sein Zorn war verflogen, und er hielt sie zärtlich fest. „Du weißt nicht, ob jemand sie getötet hat, Dianne. Dass du dich als Cassie verkleidest, bringt uns nicht weiter, Kleines. Du hast nur Camy halb zu Tode erschreckt, und du hättest dich in Gefahr bringen können.“
Sie klammerte sich an ihn und wirkte plötzlich sehr jung und schutzbedürftig. Ihr Make-up verlief, ihre Augen schwammen in Tränen, und das Image des toughen Mädchens war endgültig dahin.
„Wenn niemand sie getötet hat, warum sollte ich dann in Gefahr sein?“ widersprach sie.
Jon schwieg den Bruchteil einer Sekunde zu lang. „Weil es eine finstere und stürmische Nacht in einem knarrenden alten Schloss ist“, erklärte er leichthin.
„Und außerdem haben wir Vollmond“, setzte Reggie noch eins drauf.
„Willst du unterstellen, dass wir Werwölfe unter uns haben?“ lästerte Joe und versuchte ebenfalls, die Atmosphäre aufzuheitern.
Es war eine sonderbare Versammlung. Sie hatten Schock, Entsetzen, Fassungslosigkeit und Zorn durchlebt. Jetzt rückten sie mitfühlend zusammen, weil schmerzlich offenbar wurde, dass Dianne von ihrer Mutter tief verletzt worden war. Und gerade als sie begann, die Liebe zu bekommen, nach der sie sich sehnte, war ihr die Mutter wieder genommen worden. Sie sah aus wie ein verlorenes Kind. Sie
war
ein verlorenes Kind.
„Ich glaube, Vampire mögen auch Vollmond“, bemerkte Sabrina.
„Besonders, wenn Katzen aus den Säcken gelassen werden“, bestätigte Anna Lee.
„Ich fürchte, da warten noch etliche Katzen auf Freilassung“, sagte Jon ernst und sah von einem zum
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