Möwennest-Reihe Gesamtband (German Edition)
gab einen metallischen Klang von sich. Kunststoff raschelte.
„Monica, Liebes. Was für eine Überraschung“, sagte die Gestalt. Mit schnellen Schritten kam sie in den Flur, betätigte einen Schalter und stand in der plötzlich aufflammenden Flurbeleuchtung mit einem Mal genau vor Monica.
Inga.
Die Erkenntnis hatte etwas Beruhigendes. Der Anblick der alten Frau hingegen nicht. Blut verschmiert war ihr Gesicht, das weiße Oberteil halbseitig gerötet. Die Haare waren zerzaust und überall waren diese Federn, die nass an ihrer Kleidung klebten.
Inga streckte eine Hand nach ihr aus.
Keine Klauen , das hatte sie sich wohl vorhin nur eingebildet. Dennoch wich sie weiter zurück. Monica spürte, dass ihr Körper zitterte. Sie wollte sich am liebsten umdrehen und weglaufen, aber dazu war sie nicht imstande. Stattdessen stammelte sie: „Bleib weg. Weg von mir. Was ist … hier los. Was ist … Wie … Und was?“
Inga schien zu verstehen. Sie ließ die Hand sinken und schenkte Monica ein Lächeln, das in ihrem derzeiti gen Zustand allerdings eher zu einer grausigen Grimasse verkam.
„Kindchen. Es ist alles in Ordnung. Kein Grund zur Panik.“
„Kein Grund zur Panik?!“, piepte Monica und zeigte an Inga vorbei in die Küche, dann auf das blutdurchtränkte Oberteil der alten Dame.
„Ein unschöner Zwischenfall, mehr nicht. Ich w erde es dir erklären.“
Inga machte einen Schritt auf Monica zu. Die machte zwei schnelle Schritte rückwärts und spürte dann - zu ihrem eigenen Entsetzen - den Widerstand einer verschlossenen Tür im Rücken.
„Liebes, ich bitte dich. Du bist hierhergekommen. D u willst doch nicht schon gehen?“
„Aber … die Tür …“
„Der Wind hat sie vermutlich zugeschlagen“, erklärte Inga lapidar, kam noch näher und ergriff eine von Monicas zitternden Händen. Mit dem Daumen fuhr sie sanft über den Handrücken bis zum Gelenk.
Die Berührung war nicht unangenehm, obwohl Moni ca sich zutiefst unwohl fühlte.
„Himmel, du bist ja völlig unterkühlt, Mädchen“, stellte Inga kopfschüttelnd fest und griff sich jetzt auch die andere Hand.
Durch Monicas Finger schien plötzlich ein wärmender Strom zu fließen, der sich langsam im ganzen Körper ausbreitete. Innere Kälte und Panik ließen nach. Ihre krampfenden Muskeln entspannten sich. Monica wehrte sich nicht. Ihr Körper schien ihr, seit sie nicht mehr weiter von Inga zurückweichen konnte, ohnehin nicht mehr gehorchen zu wollen.
Endlich war ihr ganzer Körper in Wärme getaucht, als hätte jemand sie aus einer Wanne voller Eiswasser gezogen und sie anschließend in weiche Decken gepackt.
„Ist es so besser, mein Kind?“, fragte Inga. Sie lächelte. Es wirkte nicht länger bedrohlich, sondern zusätzlich wärmend. Monica fand Geborgenheit darin, eine so große Geborgenheit, dass sie für einen Moment alles um sich herum vergaß.
Die Last und Strapazen der zurückliegenden Nacht fielen von ihr ab und sie atmete erstmals (seit ihrer Flucht aus der Senke zwischen den Dünen) tief durch.
***
Monicas Herzschlag normalisierte sich. Sie wurde von einer unerwartet heftigen Müdigkeit erfasst. Die Augenlider wurden ihr schwer. Bevor sie sich fragen konnte, was mit ihr in den letzten Sekunden passiert war und gerade passierte, gaben ihre Beine nach. Ihr Rücken sank langsam an der Tür hinunter. Als sie endlich auf dem Fußboden saß, ging Inga vor ihr in die Hocke, legte ihr beide Hände auf dem Schoß zusammen und strich einmal behutsam über Monicas roten Lockenschopf.
„Keine Sorge, Monica, ich werde dir alles erklären. Schlaf jetzt. Schon bald sieht alles ganz anders aus“, flüsterte die alte Blumenhändlerin.
Monicas Augen fielen zu. I hr Kinn sank auf die Brust. Sie konnte nichts dagegen tun, hörte nur noch das leise Knacken von Ingas Knien, als diese aufstand und ging, dann fiel sie in einen traumlosen Schlaf.
***
Kapitel 5
Der Fahrtwind pfiff unbeständig durch das Loch in der Frontschreibe. Ari Sklaaten hatte den Oberkörper über das Lenkrad gebeugt und linste durch eine heilgebliebene Stelle im Glas. Harry presste weiterhin seinen Körper in den Beifahrersitz, krallte sich ans Polster und warf verstohlene Blicke durch den Rückspiegel.
Der Transporter hatte einigen Schaden genommen und das ließ er seine Insassen wissen. In unbeständiger Abfolge ließ er Geräusche vernehmen, die eindeutig auf sein baldiges Ableben hinwiesen. Außerdem hatte das rechte Vorderrad einen
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