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Momentum

Momentum

Titel: Momentum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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ein Bewerbungsgespräch hat, bemerkt sie, dass bei allen afrikanischen Kandidaten die Tür angelehnt bleibt. Also will man sie eigentlich nicht.
    Mit der Vergangenheit Deutschlands möchte sie mich nicht blamieren, spricht deshalb statt vom Nationalsozialismus nur vom »German behaviour«. Ihr Lachen verzieht sich nur langsam, dann blickt sie in die Welt mit einem Blick, auf den kein Entsetzen zukommen wird. Zum Abschied legt sie ihre Hand in meine wie eine Papierrose. Einmal hat sie eine CD in einen Laden zurückgebracht und dem Verkäufer gesagt:
    »Darauf war sehr viel Musik. Ich wollte aber doch mehr Melodie.«
    Der Händler verkaufte ihr mehr Melodie.
    »Danke von Herzen«, sagte sie. »Möge der Herr Sie vermehren.«
     
    Wenn man im Museum an den frühhistorischen Gegenständen sieht, wie sich das Ornament vom Praktischen emanzipiert, kommt es einem vor, als verfolge man das Erwachen. Was mehr sein soll als nützlich, was sich unterscheiden, was nicht allein gut gemacht sein will, was seinen Zweck nicht nur erfüllen, sondern über ihn triumphieren, seinen Macher verraten, seinen Benutzer freuen und ehren soll, das ist das Bewusstsein. Wenig hat davon der Hammer, viel der Regenschirm.
    In Addis Abeba schaue ich einem Straßenjungen zu, der sich übt, Steinchen in einen Hut zu werfen. Ich frage, ob er Lust habe, mich in das Museum zu begleiten, in dem er nie gewesen ist. Wir müssen das Museum durch einen hinteren Treppenaufgang betreten, da die Haupttreppe an einem ausgestopften Löwen vorbeiführt. Der Junge tat ein paar Schritte in die Halle, erstarrte beim Anblick des Löwen und war nicht zu bewegen, seinen Weg an diesem vorbei zu nehmen. Er glaubt dessen Tod nicht.
    Die meisten Vitrinen im ersten Stock sind ausgeweidet, geplündert oder nie gefüllt gewesen, leer. In einer steht einzig ein verlorener Becher, die Erinnerung an die Olympischen Spiele von 1924 . Den schaut sich der Junge nur im Vorbeigehen an. Stehen bleibt er dagegen vor den Gebrauchsgegenständen eines Oromo-Stammes, einem Schöpflöffel, einer Kelle. In einem langen Zögern hat sich sein Gesicht vollständig verdüstert, als er fragt:
    »Warum habt Ihr den Oromo ihr Werkzeug weggenommen?«
    Ich erkläre, dass es hier hingebracht wurde, damit man es ansehen und eine Vorstellung davon gewinnen kann, wie die Oromo essen. Er hört sich das lange an, bleibt aber bei seinem Fazit:
    »Ich finde es nicht richtig, dass Ihr denen das weggenommen habt.«
    »Die Oromo haben auch ein Museum«, sage ich, »in dem sie nachsehen, was für Geräte du zum Essen benutzt.«
    »Aber mir haben sie nichts weggenommen.«
     
    Will ich am Stadtrand von Addis Abeba im Distrikt mit dem Namen »Vier Kilo« spazieren gehen, schickt mir die Frau aus ihrem Frisiersalon ein robustes Mädchen mit, das mit wahrem Namen »Blume der Augen« heißt, aber »Kebele« gerufen wird, was so viel heißt wie »Fleck«. Ein Straßenkind, das bei einem Streit mit einem Türsteher gewalttätig wurde und danach sein Zuhause verlassen musste. Wenn wir irgendwo Limonade trinken, stemmt Kebele ihr freundliches Gesicht immer wieder in die kräftigen, vernarbten Hände, die zuschlagen können.
    Zur rechten wie zur linken Seite des ausgefransten Straßenrandes verteilt sie Almosen. Manchmal orientiert sie sich hinter mir, später erfahre ich: um mich vor den Taschendieben zu schützen. Die Minibusse verlangsamen, aus dem Inneren schreien mir die Schaffner ihre Fahrtziele zu. Was ist das: ein Weißer, der mit einem schwarzen Mädchen von vielleicht fünfzehn Jahren an der Straße spaziert, noch dazu einem, das da marschiert wie eine Kindersoldatin?
    Als ich in den Hof gerufen werde, wo fünf Frauen Kartoffeln schälen, bin ich endgültig weibisch, weil ich sitzen bleibe und ihren kehligen Erzählungen über die Braut zuhöre, die von dem Kupfer im Wasser rote Zähne hat und doch eine gute Frau ist. Ich bleibe sitzen, lese einen mutlosen erotischen Roman. Parallel dazu fleddern zwei Kindermädchen mit Krummsäbeln Lammfleisch vom Gerippe. Es überblendet sich eine Phantasie aus nackten Lesbierinnen-Leibern mit dem Bild des rohen Fleisches, das zwischen den Fingern der Frauen schmatzt.
    »Ich liebe dich nicht in meiner Muttersprache und nicht in deiner, der des Moll«, sagt die Nichte der Tante in derselben Nacht. »Ich liebe dich fremdsprachig, also optimistisch und bejahend.«
    Wir gehen zu Bett. Ich staune in ihr Gesicht, das des Verlangens, des zehrenden Verlangens. Aus dieser Fülle tritt

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