Momo
stellte sie um Momo herum, die noch immer reglos dasaß und dem Mann eher erschrocken zuguckte.
„Nun?“ sagte der Mann schließlich und paffte dicke Rauchwolken, „hast du jetzt begriffen, wie man mit einer solchen Puppe spielen muß?“
„Schon“, antwortete Momo. Sie begann jetzt vor Kälte zu zittern. Der graue Herr nickte zufrieden und sog an seiner Zigarre. „Nun möchtest du alle diese schönen Sachen natürlich gern behalten, nicht wahr? Also gut, meine Kleine, ich schenke sie dir! Du bekommst das alles – nicht sofort, sondern eines nach dem anderen, versteht sich! – und noch viel, viel mehr. Du brauchst auch nichts dafür zu tun. Du sollst nur damit spielen, so wie ich es dir erklärt habe. Nun, was sagst du dazu?“
Der graue Herr lächelte Momo erwartungsvoll an, aber da sie nichts sagte, sondern nur ernst seinen Blick erwiderte, setzte er hastig hinzu: „Du brauchst dann deine Freunde gar nicht mehr, verstehst du? Du hast ja nun genug Zerstreuung, wenn all diese schönen Sachen dir gehören und du immer noch mehr bekommst, nicht wahr? Und das willst du doch? Du willst doch diese fabelhafte Puppe? Du willst sie doch unbedingt, wie?“
Momo fühlte dunkel, daß ihr ein Kampf bevorstand, ja, daß sie schon mitten drin war. Aber sie wußte nicht, worum dieser Kampf ging und nicht gegen wen. Denn je länger sie diesem Besucher zuhörte, desto mehr ging es ihr mit ihm, wie es ihr vorher mit der Puppe gegangen war: Sie hörte eine Stimme, die redete, sie hörte Worte, aber sie hörte nicht den, der sprach.
Sie schüttelte den Kopf. „Was denn, was denn?“ sagte der graue Herr und zog die Augenbrauen hoch. „Du bist immer noch nicht zufrieden? Ihr heutigen Kinder seid aber wirklich anspruchsvoll! Möchtest du mir wohl sagen, was dieser vollkommenen Puppe denn nun noch fehlt?“ Momo blickte zu Boden und dachte nach. „Ich glaub'„, sagte sie leise, „man kann sie nicht liebhaben.“ Der graue Herr erwiderte eine ganze Weile nichts. Er starrte glasig vor sich hin wie die Puppen. Schließlich raffte er sich zusammen. „Darauf kommt es überhaupt nicht an“, sagte er eisig. Momo schaute ihm in die Augen. Der Mann machte ihr Angst, vor allem durch die Kälte, die von seinem Blick ausging. Aber irgendwie tat er ihr seltsamerweise auch leid, ohne daß sie hätte sagen können, weshalb. „Aber meine Freunde“, sagte sie, „die hab' ich lieb.“ Der graue Herr verzog das Gesicht, als habe er plötzlich Zahnschmerzen. Aber er hatte sich gleich wieder in der Gewalt und lächelte messerdünn.
„Ich glaube“, erwiderte er sanft, „wir sollten einmal ernsthaft miteinander reden, Kleine, damit du lernst, worauf es ankommt.“ Er zog ein graues Notizbüchlein aus der Tasche und blätterte darin, bis er fand, was er suchte. „Du heißt Momo, nicht wahr?“
Momo nickte. Der graue Herr klappte das Büchlein zu, steckte es wieder ein und setzte sich ein wenig ächzend zu Momo auf die Erde. Eine Weile sagte er nichts, sondern paffte nur nachdenklich an seiner kleinen grauen Zigarre.
„Also Momo - nun höre mir einmal gut zu!“ begann er schließlich. Das hatte Momo ja schon die ganze Zeit versucht. Aber ihm war viel schwerer zuzuhören, als allen anderen, denen sie bisher zugehört hatte. Sonst konnte sie sozusagen ganz in den anderen hineinschlüpfen und verstehen, wie er es meinte und wie er wirklich war. Aber bei diesem Besucher gelang es ihr einfach nicht. Sooft sie es versuchte, hatte sie das Gefühl, ins Dunkle und Leere zu stürzen, als sei da gar niemand. Das war ihr noch nie widerfahren.
„Das einzige“, fuhr der Mann fort, „worauf es im Leben ankommt, ist, daß man es zu etwas bringt, daß man was wird, daß man was hat. Wer es weiter bringt, wer mehr wird und mehr hat als die anderen, dem fällt alles übrige ganz von selbst zu: Freundschaft, Liebe, Ehre und so weiter. Du meinst also, daß du deine Freunde lieb hast. Wir wollen das einmal ganz sachlich untersuchen.“
Der graue Herr paffte einige Nullen in die Luft. Momo steckte die nackten Füße unter ihren Rock und verkroch sich, soweit es möglich war, in ihrer großen Jacke.
„Da erhebt sich als erstes die Frage“, begann der graue Herr nun wieder, „was haben deine Freunde eigentlich davon, daß es dich gibt? Nützt es ihnen zu irgend etwas? Nein. Hilft es ihnen, voranzukommen, mehr zu verdienen, etwas aus ihrem Leben zu machen? Gewiß nicht. Unterstützt du sie in ihrem Bestreben, Zeit zu sparen? Im Gegenteil. Du hältst sie von
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