Mona Lisa Overdrive
seiner Wange
zuckte beim Sprechen. Colins Gerät lag jetzt auf einem antistatischen Kissen auf dem
Frühstückstisch. Tick schloß gerade die herausragenden Kabel an ein dickeres an, das zu einem der Modulpakete lief. »Nun denn«, sagte er und rieb sich die Hände, »ich kann ihn dir zwar nicht hier ins Zimmer zaubern, aber wir zapfen ihn über ein Deck an. Den Cyberspace hast doch schon gesehn?«
»Nur in Stims.«
»Da ist nicht viel Unterschied. Jedenfalls wirst ihn jetzt zu sehen kriegen.« Er stand auf; sie folgte ihm durchs Zimmer zu zwei üppig gepolsterten Ultrasuede-Sesseln neben einem niedrigen, viereckigen, schwarzen Glastisch. »Drahtlos«, verkündete er stolz, während er sich zwei E-trodensets vom Tisch griff und eins Kumiko in die Hand drückte. »Kostet ein Vermögen.«
Kumiko betrachtete die skelettartige mattschwarze Tiara. In dem Bügel zwischen den
Schläfenstücken war das Maas-Neotek-Logo eingeprägt. Sie setzte sie auf. Kalt auf der Haut.
Auch er setzte sein Set auf, plumpste in den Sessel gegenüber. »Bereit?«
»Ja«, sagte sie, und schon war Ticks Zimmer weg, lösten sich die Wände als flatterndes
Kartenspiel auf, das davonwirbelte ins helle Gitter, die aufgetürmten Datenstrukturen.
»Netter Übergang, was?« hörte sie ihn sagen. »In die E-troden eingebaut, jawohl. Bißchen
theatralisch ...«
»Wo ist Colin?«
»Moment... Laß mich mal machen ...«
Kumiko sperrte den Mund auf, als sie auf eine chromgelbe Lichtfläche zuschoß.
»Wird einem leicht schwindelig davon«, sagte Tick, der im nächsten Moment neben ihr war auf der gelben Fläche. Sie sah hinab auf seine Wildlederschuhe, dann auf ihre Hände. »Darstellung der Person schafft da Abhilfe.«
»He«, sagte Colin, »das ist der Zwerg aus dem Rose and Crown. Hast an meinem Gerät
rumgepfuscht, was?«
Kumiko wandte sich um und sah ihn daneben. Die Sohlen seiner braunen Stiefel schwebten zehn Zentimeter über dem Chromgelb. Im Cyberspace, fiel ihr auf, gab's keine Schatten.
»Wüßte nicht, daß wir uns schon mal begegnet wären«, meinte Tick.
»Keine Sorge«, sagte Colin. »Offiziell nicht. Aber du«, sagte er zu Kumiko, »hast wohl sicher ins schön bunte Brixton gefunden.«
»Herrgott«, sagte Tick, »frech ist der gar nicht, was?«
»Pardon«, sagte Colin lächelnd, »ich wollte nur die Erwartungshaltung der Touristen
wiedergeben.«
»Du bist das, was sich ein japanischer Designer unter einem Engländer vorstellt!«
»Draculas waren in der U-Bahn«, sagte sie. »Nahmen mir die Tasche weg. Wollten dich auch
klauen ...«
»Sind 'n paar Schrauben bei dir locker, Freund. Hab dich jetzt in mein Deck eingesteckt.«
Colin grinste. »Dank dir.«
»Ich sag dir noch was«, meinte Tick und ging einen Schritt auf Colin zu. »Für das, was du sein sollst, hast du falsche Daten in dir drin.« Er zwinkerte. »Kumpel von mir in Birmingham, der hat dich gerade gründlich durchleuchtet.« Er wandte sich an Kumiko. »Dein Mr. Chips ist manipuliert. Weißt du das?«
»Nein ...«
»Um ehrlich zu sein«, sagte Colin und warf die Stirnlocke zurück, »hab' mir schon so was
gedacht.«
Tick starrte in die Matrix, als hörte er etwas, das Kumiko nicht hören konnte. »Ja«, meinte er dann, »obwohl das höchstwahrscheinlich schon in der Fabrik angelegt wurde. Zehn deiner großen Speichermodule sind total vereist.« Er lachte. »Du solltest verdammt alles über
Shakespeare wissen, oder?«
»Tut mir leid«, sagte Colin, »aber ich fürchte, ich weiß echt alles von Shakespeare.«
»Dann sag uns mal ein Sonett auf«, meinte Tick, der das Gesicht zeitlupenmäßig zu einem
Zwinkern verzog.
Colin wirkte irgendwie betroffen. »Du hast recht.«
»Oder auch vom ollen Dickens!« krächzte Tick.
»Aber ich weiß HFKW.«
»Du glaubst, es zu wissen, bis du nach Einzelheiten gefragt wirst. Schau, sie haben die Teile, die mit englischer Literatur belegt wären, leergelassen und dann mit was anderm vollgepackt...«
»Mit was denn?«
»Keine Ahnung«, sagte Tick. »Der Typ in Birmingham kann's nicht knacken. So schlau er auch ist, du bist immerhin ein ausgewachsenes Maas Biosoft...«
»Tick«, unterbrach Kumiko, »gibt es keine Möglichkeit, Sally über die Matrix zu kontaktieren?«
»Wohl kaum, aber wir können's versuchen. Du kriegst die Makroform, von der ich gesprochen habe, sowieso gleich zu sehen. Soll uns Mr. Chips Gesellschaft leisten?«
»Ja, bitte ...«
»Also meinetwegen«, sagte Tick und zögerte dann. »Aber wir
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