Mona Lisa Overdrive
verschlissen; Verzögerung in den Wellen, und das Abendrot flimmerte wie eine alte Neonröhre.
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V UHFKWV Sie drehte den Kopf, spürte die verschwitzte Papierabdeckung auf dem harten Schaumpolster im Nacken ...
Und das Gesicht mit geschwollenen Augen schaute vom andern Bett herüber. Klarer Plastikbügel auf der Nase und Micropore-Pflaster und braune Paste, bis zu den Wangenknochen verstrichen ...
Angie. Das war Angies Gesicht, umspielt vom reflektierten Abendrotflimmern des defekten Fensters.
»An den Knochen wurde nichts gemacht«, sagte Gerald, der behutsam das Pflaster ablöste, das den kleinen Plastikbügel auf dem Nasenrücken fixierte. »Das war ja das Schöne daran. Wir haben den Nasenknorpel abgetragen von den Nasenlöchern aus und die Zähne gemacht. Bitte lächeln. Wunderschön. Wir haben den Busen vergrößert, die Brustwarzen mit laborerzeugtem Erektilgewebe aufgebaut und die Augen umgefärbt...«
»Daher die Schwellung?«
»Nein. Das ist ein Sekundärtrauma der Knorpelabschälung.« Geralds Finger in ihrem Gesicht waren kühl, präzise. »Sollte bis morgen zurückgehen.«
Gerald war okay. Er hatte ihr drei Derms gegeben, zwei in Blau und eins in Pink, glatte, angenehme. Prior war bestimmt nicht okay, aber er war jetzt nicht da oder nicht in Sicht. Und es war einfach nett, Gerald zuzuhören, wie er ihr mit sanfter Stimme was erklärte. Und was der konnte!
»Sommersprossen«, sagte sie einfach, weil die weg waren.
»Ausgeschält, mit laborerzeugtem Gewebe gefüllt. Sie kommen wieder. Schneller, wenn man viel in der Sonne ist.«
»Sie ist so schön ...« Sie drehte den Kopf.
»Du, Mona. Das bist du.«
Sie betrachtete das Gesicht im Spiegel und versuchte das berühmte Lächeln.
Vielleicht war Gerald doch nicht okay.
Wieder im schmalen weißen Bett, in das er sie gepackt hatte, hob sie den Arm und betrachtete die drei Derms. Tranquilizer. Sie schwebte.
Nun schob sie einen Fingernagel unter das pink Derm, pulte es ab, klebte es an die weiße Wand und drückte mit dem Daumen drauf. Ein einzelner strohgelber Tropfen perlte hervor. Vorsichtig hob sie es ab und klebte es sich wieder auf den Arm. Das Zeug in den blauen war milchig. Auch die klebte sie wieder an. Vielleicht würde er was merken, aber sie wollte mitbekommen, was da lief.
Sie blickte in den Spiegel. Gerald sagte, er könne später den Originalzustand wiederherstellen, wenn sie wollte, aber sie fragte sich, woher er dann wüßte, wie sie ausgesehen habe. Vielleicht hatte er ein Foto gemacht oder so. Dabei fiel ihr ein, daß sich vielleicht niemand mehr an ihr früheres Aussehen erinnern würde. Michaels Stim käme dem wohl am nächsten, schätzte sie, aber sie wußte seine Adresse nicht, kannte nicht mal seinen Nachnamen. Es war irgendwie ein komisches Gefühl, als wäre ihr altes Ego kurz aus dem Haus gegangen, um nie mehr wiederzukommen. Aber dann machte sie die Augen zu und wußte, daß sie Mona war und daß sich groß nichts geändert hatte, jedenfalls nicht hinter den Augendeckeln.
Lanette sagte, es spiele keine Rolle, wie man sich ummodeln lasse. Lanette sagte mal, es seien keine zehn Prozent mehr von ihrem alten Gesicht übrig, dem Gesicht, mit dem sie auf die Welt gekommen sei. Freilich merke man das überhaupt nicht, von den schwarzen Lidern abgesehen, damit sie nicht mehr mit Mascara schmieren müßte. Mona hatte die Arbeit an Lanette für so gut auch wieder nicht gehalten, was ihr wohl mal aus den Augen zu lesen war, denn Lanette sagte: Du hättest mich vorher sehn sollen, Schätzchen.
Aber da lag sie nun, Mona, kerzengerade auf dem klapprigen Bett in Baltimore, und alles, was sie von Baltimore wußte oder kannte war eine Sirene drunten in der Straße und das Motorsurren von Geralds Klimaanlage-Und irgenwie lullte sie das in den Schlaf. Wie lange, das wußte sie nicht. Dann war Prior bei ihr, hatte die Hand auf ihrem Arm und fragte, ob sie hungrig sei.
Sie sah Prior beim Rasieren zu. Das tat er an der rostfreien Praxisspüle, wo er mit einer Chromschere den Bart stutzte. Dann wechselte er über zu einem Einwegrasierer aus Plastik aus einer ganzen Packung, die Gerald hatte. Es war komisch zu beobachten, was für ein Gesicht da herauskam. Es war nicht das Gesicht, das sie erwartet hatte; viel jünger. Aber der Mund war der gleiche.
»Bleiben wir länger hier, Prior?«
Er hatte das Hemd ausgezogen zum Rasieren; auf Schultern und Oberarmen waren Tätowierungen, Drachen und Löwenhäupter. »Das braucht deine Sorge
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