Mond der verlorenen Seelen
noch keine Begegnung mit denen.“
„Wie kommst du darauf, Kevin?“
„Riechst du das nicht? Hier stinkt was, und zwar ganz gewaltig.“
Amber schnupperte und musste ihrem Bruder recht geben. Was sie verfolgte, stank bestialisch nach Raubtier. Sie konnte sich nicht erinnern, dass die Dämonen so penetrant gestunken hatten. Außer ...
„Ein Werwolf!“, kam es gleichzeitig aus beider Mund, und schon begannen sie, zu rennen.
Wie Amber befürchtete, nahm die Bestie die Verfolgung auf. Sie achteten nicht auf die Richtung, sondern rannten blindlings über das steinige Feld. Schweiß brach aus ihren Poren. Jeder Schritt schmerzte. In ihrem Nacken hörten sie das Knurren des Werwolfs, der ihnen verdammt dicht auf den Fersen war. Falls sie nicht bald einen Hof erreichten, bedeuteten sie leichte Beute. Wie dämlich von dir, Amber Stern, du manövrierst dich alle naselang in die unmöglichsten und gefährlichsten Situationen. Schuld daran war diesmal ein zerfetzter Reifen. Kevin rannte flink wie ein Wiesel über den unebenen Boden, bis er stolperte und der Länge nach hinfiel. Er rappelte sich derb fluchend auf.
Amber zog ihn am Arm hoch. „Wir müssen hier weg, schnell!“
Kevins Jeans war über den Knien zerrissen und entblößte die aufgeschürfte Haut. Die Taschenlampe war ihm während des Sturzes aus der Hand gefallen.
„Scheiße! Die hat ihren Geist endgültig aufgegeben.“ Wütend trat er gegen die Lampe, die in hohem Bogen in die Dunkelheit flog.
„Uns bleibt keine Zeit für solche Lappalien. Dann müssen wir eben im Dunkeln weiter.“
„Ne Grubenlampe wär jetzt praktisch.“
„Sehr witzig.“
Ungeduldig zerrte sie ihn hinter sich her. Amber verwünschte sich selbst, weil ihr inneres Frühwarnsystem, so nannte sie ihren sechsten Sinn, dieses Mal nicht funktioniert hatte. Hermit hatte recht, sie ließ sich viel zu sehr ablenken. Daran musste sie arbeiten. Doch jetzt blieb keine Zeit, darüber nachzugrübeln, weshalb sie versagt hatte, denn das Hecheln des Werwolfs wurde lauter. Keuchend rannten sie weiter, obwohl sie nicht sicher war, die richtige Richtung gewählt zu haben. Kevin humpelte fluchend.
Blind durch die Dunkelheit zu rennen, verursachte ein flaues Gefühl im Magen. Sie war schon einmal einem Werwolf entkommen, und hoffte, ihr würde es ein zweites Mal gelingen. Ein tiefes Knurren im Rücken trieb sie dazu an, ihr Tempo zu verdoppeln. Mit zusammengebissenen Zähnen und nicht minder keuchend folgte ihr Kevin. Der beißende Raubtiergeruch drang in ihre Nase und verursachte Übelkeit. Der Geruch erinnerte sie an den Zoo, wenn man ein Raubkatzenhaus betrat. Er bestand aus einer Mischung von Urin und geronnenem Blut. Sie konnte den Werwolf nicht sehen, aber seine Nähe spüren, und das machte sie wahnsinnig. Seine Gegenwart löste ein Brennen auf ihrer Haut aus, als sei sie in einen Haufen Brennnesseln gefallen.
Ihr war lieber, der Gefahr direkt ins Auge zu sehen, als im Dunkeln zu tappen. Amber brauchte sich nicht auszumalen, was alles geschehen könnte, denn nur zu gut erinnerte sie sich an die letzte Begegnung. Mit Kevin an ihrer Seite verringerte sich die Chance, zu entkommen. Sie waren dazu gezwungen, sich der Bestie zu stellen. Vertrau auf deine Fähigkeiten, Tochter des Windes, flüsterten Stimmen. Die Geister waren mit ihnen. Sie wollte vertrauen, wenn sie nicht immer Selbstzweifel quälen würden.
Sie fühlte, wie der Werwolf zum Sprung ansetzte. Amber blieb abrupt stehen, wirbelte herum und warf sich schwungvoll gegen Kevin. Zusammen knallten sie unsanft auf den Boden. Gerade im rechten Augenblick, denn die Bestie verfehlte sie nur knapp und flog mit einem Satz über sie hinweg.
Flink rappelten sie sich wieder auf. Amber spürte jeden einzelnen Knochen im Leib. Aber wenn sie dem Werwolf entkommen wollten, musste sie handeln. Jetzt war sie umso mehr auf ihre Sinne angewiesen, denn der Werwolf konnte in der Finsternis sehen.
„Geister der Elemente, Feuer, Wind, Wasser, Erde, helft eurer Tochter. Tan, awel, dufr, daear cyfnerthu dy merch”, murmelte sie und im Nu schossen Flammen aus dem Boden, die sich in Windeseile zu einem schützenden Kreis um sie schlossen. Endlich war es ihr sofort gelungen, sich zu konzentrieren!
Kevin drängte sich dicht an seine Schwester und sah sie bewundernd an.
„Wow! Echt geil. Wie haste das gemacht?“
„Ich habe die Geister angerufen. Aber frag mich jetzt nicht, wie.“
Der Werwolf stand knurrend außerhalb des Kreises. Er bleckte die
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