Mond der verlorenen Seelen
wie ein Stück Vieh liegen lassen. Kevin hat dich dabei beobachtet. Und weil du keinen Zeugen gebrauchen konntest, wolltest du dich seiner entledigen. Oder war dein Blutdurst noch nicht gestillt? Zum Glück trug er die Schutzrune bei sich, sonst wäre er jetzt tot. Aber er ringt um sein Leben. Ich habe immer an dich geglaubt, bis zu diesem Moment.“ Amber schluchzte auf.
Ihre Vorwürfe erschütterten ihn bis ins Mark. Es machte ihn wahnsinnig, sich nicht verteidigen zu können. Verdammt, das Blut an seiner Kleidung. Stammte es tatsächlich von Beth? Sollte er sie tatsächlich im Blutrausch ermordet haben und konnte sich nicht mehr erinnern? Irgendwie konnte er es nicht glauben, und doch ...
„Amber, bitte.“ Er fasste nach ihrem Arm und suchte ihren Blick. Verzweifelt versuchte er, eine Erinnerung abzurufen, aber alles war ausgelöscht, als hätte er die letzten Stunden, bevor er in dem Wagengrab erwacht war, nicht erlebt.
„Es hat keinen Sinn, sich rauszureden. Du hast Beth umgebracht. Ich habe in ihren Erinnerungen gesehen, wie du dich über sie gebeugt und deine Zähne in ihren Hals geschlagen hast. Wie sie verzweifelt um ihr Leben gekämpft hat.“ Ihr Körper bebte und aus ihren Augen rollten Tränen. „Warum musstest du das tun, Aidan? Warum? Du hättest mein Blut trinken können“, flüsterte sie.
Aidan fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht. Wie sollte er sich verteidigen, wenn er sich nicht erinnerte? Sein Hirn war leer. An ihrer Entschlossenheit erkannte er, gleichgültig, was er sagte, sie würde ihm nicht glauben. Ihm wurde klar, er würde sie und ihre Liebe verlieren. Verzweiflung und Abscheu lagen in ihrem Blick, bevor sie sich von ihm abwandte. Mit einem Ruck riss er sie an der Schulter herum.
„Amber, hör mir zu. Ich bin ein Vampir und verhehle nicht, dass ich Blut brauche. Du hast das gewusst.“
„Ja, ich habe das gewusst und geglaubt, ich könnte damit leben. Aber ich kann es nicht“, flüsterte sie.
„Wenn ich es dir doch sage, ich weiß nicht, was geschehen ist. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, nur, dass ich in dem Grab erwacht bin.“ Es klang wie eine billige Ausrede. Das empfand Amber auch so, wie er an ihrer Miene erkennen konnte.
„Willst du mir sagen, dass der Blutrausch bei euch die Erinnerung löschen kann? Es hat keinen Zweck, mich zu belügen“, sagte sie traurig und senkte den Blick.
Er dachte an seine erste Begegnung mit den Hexen, an die junge Frau, die für ein Ritual geopfert werden sollte. Wie ein wildes Tier war er über sie hergefallen, um ihr Blut zu trinken. Vielleicht hatte Amber recht, und er hatte das Beth und Kevin tatsächlich angetan.
Noch nie hatte er sich so elend und hilflos gefühlt wie in diesem Augenblick. Amber sah zu ihm auf. Ihre Augen waren nur noch zwei dünne Striche.
„Ich kann dir das nicht verzeihen.“
Wie könnte er Amber noch in die Augen sehen, wenn er tatsächlich Beth getötet und Kevin schwer verletzt hatte? Wie mit diesen Schuldgefühlen leben? Er würde hingehen, wo er hingehörte, in die Schattenwelt. Das Beltanefest fand in wenigen Tagen statt, die Gelegenheit, das Tor zu passieren.
Aber Amber nicht mehr zu sehen, in den Armen zu halten, zu küssen und zu lieben, zerriss ihm das Herz. Und doch war es die einzige Möglichkeit, um sie und alle anderen vor ihm zu beschützen.
„Ich werde dich verlassen. Die Bestie in mir steht zwischen uns.“ Fast hätte seine Stimme versagt. Aidan glaubte, noch einmal zu sterben.
Ambers Knie knickten ein, sodass sie sich an der Fensterscheibe abstützen musste. Jetzt war der Augenblick gekommen, vor dem sie sich immer am meisten gefürchtet hatte. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sie blickte in die Dunkelheit hinaus und spürte Aidans Schwermut, die sich wie ein dunkler Schleier über sie legte.
Immer, wenn Schreckliches geschehen war, hatte sie in seinen Armen Trost und Vergessen gefunden. Von jetzt an konnte sie sich nicht mehr an ihn lehnen. Das Gefühl der Sicherheit war gestorben, als sie in Beths Erinnerungen eingetaucht war. Bilder, die sie nie vergessen würde. Aidan mit spitzen Eckzähnen und blutverschmiertem Gesicht. Gier in seinen Augen. Das war nicht mehr der, den sie liebte, sondern eine wilde Bestie. Die Wärme, der Glanz in seinen Augen war erloschen, so wie in ihrem Leben. Beth und Kevin standen zwischen ihnen wie eine unüberwindbare Mauer. Nie mehr könnte sie Aidan vertrauen. Vielleicht wäre Mom sein nächstes Opfer, oder Hermit. Wenn sie doch nur die
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