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Mondberge - Ein Afrika-Thriller

Mondberge - Ein Afrika-Thriller

Titel: Mondberge - Ein Afrika-Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Martin Meyer , Andreas Klotz
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einer Welt konfrontiert, in der es etwas Größeres gab als das, was ein Mensch sich vorstellen kann. Tom wollte sich dem verbunden fühlen.
    An einer lichten Stelle machten sie noch einmal Halt, um die Hänge um sie herum zu betrachten. Andrea setzte sich auf einen Baumstumpf und sah in das Tal hinab. Tom blieb einen Meter hinter ihr stehen und kämpfte mit den Tränen. Die Sehnsucht nach seinem Vater, der Wunsch nach Frieden in seinem Herzen und das schier unstillbare Verlangen nach tief empfundener Liebe überwältigten ihn. Er sehnte sich nach einer Partnerin wie schon sehr lange nicht mehr. Er wollte sein Leben nicht mehr allein leben, er wollte es wieder mit jemandem teilen.
    Er hatte diese Empfindungen viele Jahre erfolgreich mit Arbeit überdeckt, hatte sich denen zugeordnet, die nicht für eine Beziehung geschaffen sind. Immer wenn er mit einer Frau zusammen gewesen war, hatte er den Eindruck gehabt, ihr auf eine subtile Weise nicht zu genügen. Wenn er ganz ehrlich war, hatte er sich dabei jedes Mal verloren.
    Er hatte sich in eine Aktivität nach der anderen geflüchtet, ohne zu merken, wie orientierungslos er dabei durch die Welt geirrt war. Er hatte nirgends eine Möglichkeit gefunden, sich festzuhalten. Menschen waren ihm entglitten. Auch einige Freunde hatten sich von ihm abgewandt, weil er unstet war, weil er immer wieder alles über den Haufen warf, was er zuvor aufgebaut hatte. Beziehungen, Freunde, Wohnungen. Immer wieder war er umgezogen, weil er gehofft hatte, in einer neuen Umgebung das zu finden, was er suchte. Dass er die entscheidende Veränderung endlich schaffen könnte. Alles war fehlgeschlagen.
    Tom spürte, dass jetzt, hier im Ruwenzori, etwas mit ihm geschah, das ihn für den Rest seines Lebens prägen sollte. Er war zurückgeworfen auf seine grundlegenden Bedürfnisse nach Wärme, Schutz, Essen und Trinken. Und einer Beziehung. Diese Erfahrung rüttelte an seinen Grundfesten. Und sie warf banale Fragen auf. Was trieb ihn zu diesem gehetzten Leben, das er die letzten Jahre geführt hatte? Wohin wollte er eigentlich?
    Dieses Gefühl, niemals zu genügen – beruflich und privat –, wer oder was hatte es ihm aufgebürdet? Irgendwann in seinem Leben musste es eine Situation gegeben haben, die ihn nachhaltig aus der Bahn geworfen hatte. Er dachte unweigerlich an seinen Bruder. Viel wusste er nicht mehr von ihm, alles lag zu lange zurück. Das wenige, das er wusste, kannte er nur aus kurzen Erzählungen seiner Eltern und Großeltern.
    Tom wurde in diesem Moment klar: Es hatte ihn im Grunde immer danach verlangt, sich ganz zu fühlen. In einer Beziehung, in einer Profession, durch einen Erfolg. Das war ihm in dem Glauben, den Ansprüchen seiner Umwelt nicht gerecht werden zu können, immer nur halb geglückt. Er hatte sich immer nur halb gefühlt. So, als hätte man ihn geteilt und die eine Hälfte irgendwo verschwinden lassen. Niemals zuvor hatte er diesen Gedanken mit Jens in Verbindung gebracht. Er hatte nie mit jemandem über seinen Bruder gesprochen. Niemand in der Familie hatte das getan. Seine Mutter hatte jedes Gespräch über Jens abgeblockt, sein Vater wurde sofort schwermütig, wenn der Name genannt wurde. Nur sein Großvater hatte ihm ein wenig erzählt.
    Vielleicht fiel es ihm auch deshalb so schwer, den Geist seines Bruders zu akzeptieren. War das nicht alles völlig durchgeknallt? Vor einer Woche noch hätte er jeden für verrückt erklärt, der ihm etwas von Geistern erzählt hätte. Doch als er jetzt langsam hinter Andrea in dieses verborgene Tal hinunterging, musste er wohl akzeptieren, dass es eine Welt um ihn herum gab, von deren Existenz er bislang nichts gewusst hatte. Und er sah ein, dass er viel zu lange weggelaufen war, dass er sich seiner Vergangenheit stellen musste. Er wollte herausfinden, was damals in jenem Winter in Schweden wirklich geschehen war. Gleichzeitig bekam er Angst. Er spürte eine sehr schwere Schuld auf seinen Schultern lasten, die ihn zu erdrücken drohte. Er befürchtete, sich eingestehen zu müssen, dass er den Tod seines Bruders verschuldet hatte.
    Wieder durchströmte ihn das tiefe Gefühl der Liebe, das er zuletzt bei seinem Vater erlebt hatte. Er hatte seinen Bruder geliebt. Wie sehr, das hatte er jahrelang verdrängt. Jetzt war er Jens wieder begegnet. In diesem Gebirge. Ausgerechnet in dem Tal, das er so sehnsüchtig gesucht hatte. So sehnsüchtig, wie er sich jetzt danach sehnte, glauben zu können. Und hier hatte er auch Andrea

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