Mondberge - Ein Afrika-Thriller
völliger Unsinn. Sag ihm das.«
»Das hat Kambere schon getan ...«
»Und?«, fragte Andrea besorgt.
»Muthahwa ist schrecklich wütend geworden. Er hat Kambere angeschrien. Aber Kambere hat ihm nicht zugehört. Er hat gesagt, dass eine neue Generation kommt. Dass die alten Gesetze neu gemacht werden müssen.«
»Und das hat Muthahwa nicht gefallen, nehme ich an«, folgerte Andrea.
»Er wollte Kambere von der Zeremonie ausschließen.«
»Was bedeutet das für den Jungen?«
»Ein unbeschnittener Mann ist in unserer Gesellschaft nichts. Er ist wertlos. Er wird niemals eine Frau finden.«
Betretenes Schweigen trat ein.
»Ich habe eine Bitte an euch«, sagte Mbusa nun sehr leise und kam näher auf Andrea zu. Dann flüsterte er: »Wenn Kambere das Tal verlassen muss: Kümmert euch um ihn. Er ist noch so jung.«
Im nächsten Moment verschwand Mbusa durch die Öffnung der Hütte.
56
Im Tal, am Abend des Tages vor der Feier
»Mit diesem Schamanen ist nicht zu spaßen«, sagte Peter. »Wir müssen hier weg. Wenn die erstmal mit ihrer Zeremonie beginnen, dann ist es zu spät.«
»Meinst du nicht, gerade dann könnten wir leichter entkommen? Dann sind doch alle beschäftigt«, wandte Andrea ein.
»Soweit ich weiß, nehmen solche Stämme zu diesen Anlässen allerhand Drogen und trinken ihr selbst gebrautes Bier. Wir können nicht vorhersehen, wie sie sich dann uns gegenüber verhalten.« Peter sah sehr besorgt aus.
»Das ist doch lächerlich«, meinte Andrea. »Die werden doch nicht plötzlich gewalttätig.«
»Du kennst diese Traditionen nicht. Sie klingen für euch Europäer ja vielleicht archaisch, aber im Grunde sind es streng reglementierte Riten, an denen keine Kritik erlaubt ist. Und die Strafen können schrecklich sein.«
»Und das ist also das von uns so bewunderte, so ursprünglich gebliebene Afrika«, wetterte Andrea. »Das ist ja reaktionärer und starrer als die deutsche Bürokratie.«
»Nein Andrea,« entgegnete Peter scharf, »nicht reaktionär. Sondern konservativ. Im wahrsten Sinne des Wortes: erhaltend. Die Regeln sollen sicherstellen, dass ihre Welt, ihre Traditionen auch morgen noch existieren. Was würdest du tun, wenn man deine Art zu leben bedroht?«
»Dann sollten wir etwas unternehmen, damit wir hier rauskommen.« Tom erhob sich und war mit einem großen Schritt am Hütteneingang. Er schob die beiden überraschten Bayira, die davor Wache hielten, zur Seite und ging auf die größte Hütte zu, in die er den Schamanen hatte hineingehen sehen. Die Leute auf dem Dorfplatz begannen zu schreien und zu gestikulieren, als er den Platz überquerte. Vor der Hütte blieb Tom stehen. Die Dorfbewohner bildeten in einigem Abstand einen Halbkreis hinter ihm.
Muthahwa kam heraus und musterte Tom fragend. Er stützte sich auf einen langen Speer, die Augen funkelten, und Tom konnte das Misstrauen darin erkennen.
»Was willst du, Mzungu?«, sagte er todernst. Sein Englisch klang lange nicht benutzt und er formulierte die Worte mit offenem Abscheu. Mzungu . Tom erinnerte sich, dass ihn schon die Kinder beim Aufbruch zur Wanderung so genannt hatten: Fremder, Weißer.
»Wir werden das Tal wieder verlassen«, sagte Tom. »Und ich hoffe, dass ihr uns gehen lasst.«
Der Mann schüttelte widerwillig den Kopf. »Ihr seid hier gegen das Gesetz eingedrungen. Ihr habt die Ruhe der Geister gestört. Also werdet ihr so lange bleiben, bis die Geister euch erlauben, wieder zu gehen.«
»Wer entscheidet das? Die Geister – oder du?« Tom sah den deutlich kleineren Mann durchdringend an. Doch der blieb ungerührt.
»Wir leben hier mit den Geistern zusammen und respektieren ihre Macht.« Der Mann machte Anstalten, sich wieder umzudrehen.
Tom schlug einen versöhnlichen Tonfall an:
»Ihr habt uns aufgenommen, als wir in Not waren, ihr habt uns zu essen gegeben und uns auf die Insel gebracht. Wir sind euch zu großem Dank verpflichtet. Nun aber möchten wir euch nicht weiter zur Last fallen.«
»Wer die Geister missachtet, wird sterben«, grollte der Schamane, als er sich Tom wieder zuwandte. »So will es das Gesetz.«
»Aber wir wollen euch doch gar nichts tun.« Tom streckte die Arme mit offenen Handflächen nach vorne aus.
»Du weißt genau, welches die Gefahr ist. Und ich weiß genau, was du vorhast.«
Tom sah den Mann verständnislos an. Der musterte ihn eine Weile, ließ dann den Blick über die Dorfgemeinschaft schweifen, die im Halbkreis um die beiden Männer herum stand.
Der Schamane presste die
Weitere Kostenlose Bücher