Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mondglanz

Mondglanz

Titel: Mondglanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Aguirre
Vom Netzwerk:
mit Marsch hatte, an die ich zurückdenken kann.
    Ich reiße mich zusammen und spreche weiter: »Es ist nur eine vorübergehende Maßnahme, damit du besser zurechtkommst. Außer … du willst gehen.« Die Worte schmerzen in meiner Kehle, als hätten sie Stacheln. »Wenn es das ist, was du willst, dann geh. Die Dinge haben sich geändert.«
    Er nickt knapp. »Es wäre unfair dir gegenüber.«
    Das war das Letzte, was ich erwartet habe. Maria, es ist beängstigend, wie ähnlich wir uns in manchen Dingen sind. Aber gerade weil ich so gut verstehe, wie er denkt, werde ich nicht so reagieren, wie er es getan hat, als ich glaubte, meine Tage wären gezählt. Ich werde nicht zulassen, dass Angst und Schmerz mir einflüstern, was ich zu tun habe.
    Außerdem sind seine Worte für mich auch so etwas wie eine Versicherung. Denn wäre der Marsch, den ich liebe, tot, würde es ihn nicht kümmern, ob sein Verhalten unfair ist oder nicht. Er würde keinen einzigen Gedanken mehr an mich verschwenden. Doch dieses vage Schuldgefühl sagt mir, dass irgendwo in ihm noch Gefühle sind. Und Schuld ist wahrscheinlich die hartnäckigste Empfindung, die es gibt. Nichts sorgt dafür, dass sich ein Mensch so elend fühlen kann, als wenn er Schuld verspürt. Aber Mitleid war noch nie meine Stärke, also ziehe ich ihn ein wenig auf.
    »Ach, ist es das, worum es dir geht? Dann lassen wir’s doch einfach. Besser, du gehst nach Nicuan. Dann kann ich mir den nächstbesten armen Trottel angeln, und der bringt mich emotional wieder auf Vordermann.«
    »Findest du das witzig?«, blafft er mich an.
    Ich scharre verlegen mit den Füßen. »Ein bisschen.«
    »Mair hat einen vollen Umlauf gebraucht, um mein Hirn wieder in Ordnung zu bringen«, flüstert er tonlos. »Drei volle Monate war ich gefesselt. Sie wusste, ich würde sie sonst umbringen dafür, dass sie mir helfen will. Sie und jeden anderen, den ich in die Finger bekomme. Verstehst du, was ich sage, Jax?«
    Meine Knie fangen an zu zittern. Endlich setze ich mich und blicke Marsch fest in die Augen. »Du wolltest dir nicht helfen lassen.«
    »Endlich hast du’s kapiert!«, fährt er mich an. »Und jetzt … jetzt ist es zehnmal schlimmer!«
    »Warum?« Ich beuge mich nach vorn, die Ellbogen auf die Knie gestützt. Sein Gesicht sieht eigenartig aus, fremd. Ich sehe Höhlen und Schatten, die zuvor nicht da waren, als hätte er sich auch physisch in einen anderen verwandelt. Das lange Haar verstärkt den Eindruck noch. Marsch war immer gepflegt, frisch rasiert, akkurater Haarschnitt. Auf seinem Kinn sprießen mindestens drei Tage alte Stoppeln.
    Er macht mir eine Höllenangst.
    »Weil da keine Stimmen mehr sind, die mich in den Wahnsinn treiben. Ich kann sie jetzt ausblenden. Das macht mich zum perfekten Killer. Keine Reue mehr, nur noch die Befriedigung, das Leben aus jemandes Blick schwinden zu sehen. Und darin bin ich sehr gut«, fügt er hinzu, als wolle er mich schocken.
    »Hast auch genug geübt«, erwidere ich leise.
    »Kein Schmerz. Keine Angst. Für mich zählt nur noch, was ich will. Es gibt niemanden mehr, der von mir abhängt, der mich fragt, was er tun soll. Und weißt du was? Je länger ich so bin, desto besser gefällt es mir. Das ist Freiheit … Auf Nicuan könnte ich ein Vermögen machen, leben wie ein König.«
    Marsch so reden zu hören bricht mir das Herz. Selbst wenn sein Körper noch lebt – der Held, den ich zuerst bewundert und in den ich mich dann verliebt habe, ist auf Lachion gestorben. Die alte Jax hätte sich wahrscheinlich bestens mit dem Kerl amüsiert, zu dem er geworden ist. Sie gab einen Dreck auf Konsequenzen oder Versprechen. Alles, was sie kümmerte, war ihre eigene kleine Welt. Alles, was sie wollte, war Sonnenfeuer zu kartographieren und sich zu amüsieren.
    Diese Frau bin ich nicht mehr.
    Ich zucke mit den Schultern, auch wenn es nur Maskerade ist, eine Fassade, die Marsch mit einer einzigen geistigen Berührung niederreißen könnte. Aber er tut es nicht. Ich spüre kein Kribbeln im Nacken, keinen Schauder, der mir sagt, dass er da ist. »Es ist deine Entscheidung. Aber wenn du jetzt so durch und durch böse bist, warum hast du mich dann nicht schon längst umgebracht?«
    Sein Lächeln lässt mich erstarren. »Aus zwei Gründen, Baby: Es bezahlt mich niemand dafür, und du gibst mir keinen Anlass. Noch nicht. Wenn du schlau bist, entbindest du mich von meinem Versprechen, bevor ich es mir anders überlege. Bis dahin können wir immer noch eine rein

Weitere Kostenlose Bücher